Rezension

Geniale Idee im trockenen Gewand

Die Nächte der Pest -

Die Nächte der Pest
von Orhan Pamuk

Bewertet mit 3 Sternen

Ich kann mich nicht so recht entscheiden, ob dieses Buch genial oder eine Zumutung ist, ganz sicher ist es vielseitig.

Da behauptet die Autorin Mini Mingali in der Einleitung, sie hätte hier ein Geschichtsbuch in Romanform geschrieben, dass sich mit der Pestepidemie 1901 auf der Insel Minger beschäftigt.

Somit haben wir eine fiktive Autorin, die über fiktive Vorkommnisse auf einer fiktiven Insel referiert und uns glauben lässt, dazu gründlich die Geschichte der Insel und des Osmanischen Reichs recherchiert zu haben. Und natürlich ist das genial, ein Feuerwerk an Einfällen, ein gigantischer Weltentwurf, der bis hin zu den Straßennamen ausgearbeitet ist und vorgaukelt, historische Ereignisse aufzuarbeiten. Ich verstehe auch die Ironie, dem Ganzen einen wissenschaftlich referierenden Ton zu verleihen. Passagenweise hätte mich das sehr amüsieren können, nur ist es in einem dicken Buch auf Dauer wirklich ermüdend. Auch das unterhaltsamste Referat strapaziert irgendwann die Geduld des Publikums.

23 Stunden und 50 Minuten dauert das Hörbuch, das wunderbar gelesen wird, trotzdem muss man sich immer wieder aufrappeln, damit man nicht den Text an sich vorbeirieseln lässt. Ein unterhaltsamer wissenschaftlicher Vortrag von knapp 24 Stunden ist dann eben doch genau das, ein wissenschaftlicher Vortrag, der zudem noch nicht einmal leistet, dass ich hinterher etwas gelernt habe, wenn ich ihm schon lausche.

Da sind Namen über Namen, Sultane, Prinzessinnen, Ärzte und Politiker mit skurrilen Familiengeschichten, eine Insel, die gegen das große Osmanische Reich aufbegehrt und sich sogar zum unabhängigen Staat ausruft. Da ist eine Pestepidemie, die zum Politikum wird, Verschwörungstheorien verursacht, die Gesellschaft spaltet und irrwitzige Blüten treibt. Auf Minger wurden tatsächlich Quarantänesoldaten eingesetzt, um aufgestellten Quarantäneregeln durchzusetzen. Allerdings schwankte deren Aufgabenbereich mit dem Glaubensbekenntnis der Befehlshaber und die schwankten auch.

Diese Geschichte ist skurril und irrwitzig und teilt auch ordentlich Seitenhiebe aus, so manches meint man gut zu kennen. Es hätte ein genialer Schmöker, eine historische Megaglosse zum Thema Pandemie und mein neues Lieblingsbuch werden könne, hätte der Autor auf den Kniff verzichtet, dem Ganzen einen wissenschaftlichen Anstrich zu verleihen. Dieser Kunstgriff geht auf Kosten der Personenzeichnung, bewirkt, dass liebevoll erdachte Figuren nicht lebendig werden und eine grandios angelegte Geschichte zum zähen Referat wird.

Sehr schade.