Rezension

Gelungener Nordic-Noir-Thriller für Jugendliche

Das dunkle Flüstern der Schneeflocken -

Das dunkle Flüstern der Schneeflocken
von Sif Sigmarsdóttir

Bewertet mit 4 Sternen

Hannah zieht zu ihrem Vater nach Island, womit sie gar keine Freude hat. Wenigstens lernt sie durch ein Praktikum bei der hiesigen Tageszeitung die bekannte Influencerin Imogen kennen, die plötzlich zum Mittelpunkt eines Mordfalls wird. 

„Das dunkle Flüstern der Schneeflocken“ ist ein Jugendbuch, das geschickt den Glanz von Instagram, Gefahren von Social Media und jugendliche Ängste, zu einem gelungenen Nordic-Noir-Thriller vereint. 

In einem Lavafeld wird eine Leiche gefunden, die nicht den üblichen Funden der eisig kalten Umgebung entspricht. Normalerweise handelt es sich um erfrorene Touristen, die sich unabsichtlich der isländischen Natur ergeben. Diesmal ist es eindeutig ein Mordopfer, und alle Indizien weisen auf die bekannte Influencerin Imogen Collins hin. Hannah stößt eigenmächtig Ermittlungen an, weil ihrer Meinung nach manches Detail nicht sinnvoll ins Gesamtbild passt.

Die jugendliche Hannah zieht nach Island, was alles andere als freiwillig geschieht. Nach dem Tod ihrer Mutter muss sie wohl oder übel bei ihrem isländischen Vater leben, der sie zähneknirschend in der Familie willkommen heißt. Hannah hat ein anstrengendes Leben hinter sich, und sie merkt, dass ihr der Bezug zur hiesigen Verwandtschaft fehlt. Trotzdem findet sie sich halbwegs ein, und freut sich, dass sie bei der Tageszeitung vor Ort ein Praktikum absolvieren darf.

Menschlich betrachtet ist Hannah auf eine sympathische Weise schroff und verwirrt. Ihre miese Kindheit hat sie geprägt, und es fehlt ihr an Orientierung im neuen Umfeld. Meiner Meinung nach findet sie sich den Umständen entsprechend schnell in die Situation ein. Auch wenn sie selbst anders empfindet. Als Journalistin hat sie extremes Potential. Sie spürt sofort die richtigen Themen und Fragen auf, hat ein exzellentes Auge für Details, bringt Wagemut und Engagement mit, sowie eine unbändige Neugierde, die essentiell für fundierten Journalismus ist.

Imogen ist eine britische Influencerin auf Instagram, die weit oben am herzförmigen Like-Himmel glänzt. Zugegeben, sie ist mit dieser Rolle vollends unzufrieden, obwohl sie ihr bestens entspricht. Es wird deutlich, wie berechnend sie vorgeht und wie kritisch sie ihr eigenes Auftreten in Frage stellt.

„Dadurch setzt sie ihren Followern ein Ziel. Sie ermutigt sie, nach dem zu streben, was Imogen Collins verkörpert, darauf hinzuarbeiten, besser als die anderen zu sein wollen. Aber wie sollen sie dieses Ziel erreichen, wenn die Latte dermaßen hoch liegt? Das heißt, sie liegt nicht nur irrsinnig hoch - sie ist so fern jeder Realität, dass nicht einmal der echte Mensch Imogen Collins den Hauch einer Chance hat, tatsächlich ein Leben wie die Influencerin Imogen Collins zu führen.“ (S. 242)

Thematisch geht Autorin Sif Sigmarsdóttir Kritik an Social Media von mehreren Seiten an. Einerseits betrachtet sie die Rolle der strahlenden Influencerin Imogen Collins und den schönen Schein der quadratischen Bilderwelt auf Instagram. Andrerseits fließen die Gefahren von Social Media in die Handlung ein, was zum leitenden Motiv des Mordfalls sowie des Erzählrahmens wird.

Abwechselnd wird aus Hannahs und Imogens Sicht erzählt, wobei die Zeitstränge nicht parallel laufen. Nachwuchs-Journalistin Hannah ist der Follower zählenden Imogen einen Schritt voraus, wodurch sich mitreißende Dynamik ergibt. Jedes Kapitel beginnt mit einem Instagram-Post der jeweiligen Figur, was dem Buch meinem Gefühl nach ein originelles Merkmal verleiht. 

Ich fand diesen Thriller sehr aufregend und Sigmarsdóttir schafft ein großartiges Puzzle, das sie dank Hannah vor dem Leser zusammensetzt. Mit den Hintergründen der Handlung bin ich nicht völlig zufrieden. Für mich war die Sache zu groß für einen Thriller auf Teenie-Niveau. Es gehen Intrigen, Betrug und Sexualität Hand in Hand, wobei der Level des Komplotts eher in der James-Bond-Liga angesiedelt ist. 

Trotzdem hat es mir bis dahin enormen Spaß gemacht mit Hannah den Fall von Imogen Collins aufzudecken. Außerdem fand ich das Setting um Island perfekt in Szene gesetzt. 

„Seit vor über eintausend Jahren die ersten Menschen nach Island gekommen sind, hat sich die Insel redlich bemüht, sie wieder umzubringen. Im Lauf der Zeit ist sie immer und immer wieder nur knapp daran gescheitert, den Homo sapiens durch eisiges Wetter, brodelnde Lava, Erdbeben, Überschwemmungen, Lawinen oder Seuchen von diesem Brocken Vulkangestein knapp unter dem nördlichen Polarkreis zu vertreiben.“ (S. 42)

Im Endeffekt handelt es sich um einen ausgesprochen gelungenen Nordic-Noir-Thriller auf Jugendniveau, der auf exzellente Weise Medienkritik verpackt und gleichermaßen mit rauem isländischen Ambiente, einer spannenden Handlung und dem originellen Stil zu fesseln weiß. Daher spreche ich eine Leseempfehlung aus.