Rezension

Garstige Hummermänner

Die Welt der 1000 Abenteuer - In den Fängen der Seehexe
von Jens Schumacher

Bewertet mit 4 Sternen

„Deine Ankunft in Corallia
hattest du dir anders vorgestellt.“

Ein so genanntes ‚Spielbuch‘ welches sich im NerdCube befunden hat. Dankbar findet es in unserem Regal ein Heim. Zwischen all den anderen Abenteuer und Fantasy Büchern. Obwohl es eigentlich eher in den Schrank zu all den Heften von DSA passen würde. Der Meister einer klassischen ‚Das schwarze Auge’ Runde hat da verschiedene Schwierigkeiten zur Verfügung. Aber auch wenn man keine Gruppe hat, gibt es so genannte ‚Solo-Abenteuer‘ und erfreulicherweise funktionieren diese Hefte genauso wie das Spielbuch.
Ich erkläre euch das kurz: 300 Abschnitte sowie eine Spielanleitung und einen Prolog gibt es auf den über 200 Seiten (die nicht durchnummeriert sind!) Gelesen werden die durchnummerierten Abschnitte nicht chronologisch. Am Ende jedes Stückes darfst du dich als Leser entscheiden: (zB) gehe ich nach Links - Abschnitt 121? Rechts - Abschnitt 36? Und so lustig hin und her durch’s ganze Buch. Irgendwo mittendrin steckt also das Ende der Quest und wie für ein Labyrinth üblich führen nicht alle deine Entscheidungen dorthin.
Es gibt sogar einen Abenteurer Rucksack, einen Kompass und ein Grundtalent (zB: Klettern). Unschön gelungen finde ich hier hingegen die Zufallstabellen. Sowohl Kampfausgang, als auch Runen-wählen sind statisch. Mir wäre eine schlichte W6er (6seitiger Würfel) Tabelle lieber gewesen. Dann hätte man zwar entweder einen Würfel mitliefern müssen oder eben voraussetzen, dass der Leser einen hat - aber Augen schließen und ‚blinder Adler‘ spielen war nicht so mein Fall.

Es gibt kaum vergleichbare Bücher, bei denen man so genau lesen muss! Allein schon am Ende des Prologs stieß ich auf mein erstes Problem: Nehme ich das Pökelfleisch, das Entermesser oder den Schlauch mit Wasser? „Du dankst dem Kapitän und wählst spontan einen der Gegenstände aus, den du auf deinem Abenteuerblatt vermerkst.“ Also liebe Leute, … ich und spontan bei der schwierigen Frage: Wasser, Essen oder Waffe? Ich war schon drauf und dran an dieser einfachen Frage zu verzweifeln aus Angst, es könnte schon die alles entscheidende Tat sein! Denn wenn man das Ziel nicht erreicht, dann startet man hier vorn vorn! Jawohl! Das hier ist aktives Lesen und nicht stupides Abarbeiten. Deshalb: wähle ich einen Gegenstand aus und notiere mir (nicht im Buch, sondern auf einem Schmierzettel) meine Wahl.
 

„Du bist aufgefordert
das Schicksal zu befragen“

Während mein alternatives Märchen-Du durch die Abschnitte zuppelt, schau ich für euch mal kurz nach was ‚Mantikore‘ für ein Verlag ist. Der Verlag hat sich ganz dem ‚Erleben‘ verschrieben und bietet alles was das Herz im Fantasy, Suspense und Horror sowie Sciene Fiction Bereich begehrt. Doch nicht nur Romane sind im Angebot, sondern auch diverse Spielbuch-Serien und ein Herz höher schlagender Bereich der Rollenspielreihen. Darunter auch „Das Lied von Eis und Feuer“. Ich kann jetzt schon sagen, wer Spielbücher für oldschool hält, hat Recht! Ein Nischenprodukt, der kleine Bruder des Rollenspiel an sich. Zu Unrecht nie in Mode gekommen. Denn es macht Spaß, zur Abwechslung einmal entscheiden zu dürfen in einem Buch. Wer jetzt mit den Begriffen nichts anfangen kann oder trotz meiner kurzen Erklärung nicht genau weiß was ich meine, dem kann ich die entsprechenden Artikel auf der Verlagsseite nahe legen.

Und, was ich auf keinen Fall unerwähnt lassen darf: Die Illustrationen im Buch: „Die Welt der 1000 Abenteuer“ stammen von Hauke Kock. Wer jetzt irgendwie denkt: wait’a’min - der hat Recht. Schon zu: „Das Tor zu 1000 Welten“ dem Kindgerecht aufgearbeiteten Abenteuer zu „Der Fluch der Schatzinsel“ gab es Illustrationen von Piraten von diesem Künstler. Die Welt ist klein.
 

„Ich verrat dir, wie ichse kaputtmachen würd.“

So. Meine erste Reise zur Seehexe habe ich dann mal rein intuitiv begangen und mal geguckt was wohl am Ende dabei rauskommt. Ich ging nicht davon aus, es auf Anhieb zu schaffen. Keine 15 Minuten später war ich … tot. Gefoltert von bösen Hummermännern, konnte mir auch mein Amulett der Heilung nicht helfen und schon gar nicht die lustigen „Seeprikosen, Salzanen und Tangbeeren.“ Schätze ich bin irgendwo falsch abgebogen. Also alles vom Charakterblatt ausradiert und neu angefangen. Als Katze habe ich ja bekanntlich 7 Leben (und wenn das nicht reicht, dann eben 9). Keine 2 Minuten später bin ich schon wieder tot - da konnte mir selbst die Tiersprache nicht mehr helfen. Tja so kann es gehen. Und noch mal! Da packt es einen doch ziemlich schnell bei der Ehre. Man WILL einen Weg finden. 10 Minuten, beträchtliches Stück weiter gekommen und von Vampirrochen erledigt worden. Sagt mal, als Lesekatze, wieso habe ich eigentlich nicht das Talent Schriftenkunde genommen? Da ich ja grad mal wieder neu anfangen darf, ändere ich das jetzt einfach. Ich will wissen, was da im Wrack ist - na ja falls ich da noch mal hinkomme! - 5Min später: LESEN? wer will schon unter Wasser lesen können? HMPF. Tot. Jetzt wird es aber langsam knapp mit meinen Katzenleben! Direkt noch mal !!! Mir kommt grad die Idee: Ich könnte doch ein Let’s Play machen …

Zwei Stunden später:
Tja … ich ehm … *hust* Es türmt sich ein Haufen Notizblätter voller toter Charaktere aufeinander. Es ist echt verteufelt gefährlich da unten! Hunderttausende von Hinweisen verstreut überall und ich bin immer noch nicht am Ziel. Selbst wenn ich dann mal alles richtig entscheide, haut das Schicksal einem einfach Eine rein. Die einzige Unabwägbarkeit. Beim Kämpfen hingegen ist es irgendwann einfach, weil man weiß welche die richtige Kombination ist, gewinnt man eben. (Deswegen wären mir Würfel lieber.) Selbst wenn man sich jedoch merkt wo welche Rune liegt hilft einem das nicht, denn was grad noch eine gute Rune war, kann im nächsten Abschnitt eine schlechte sein - sehr gut ausbalanciert! Aber jetzt frustet es mich schon, dass ich nicht alles mitnehmen kann, was ich haben will. Und ich habe erst EINE der drei Richtungen ausprobiert! Vielleicht sollte ich mir pro Richtung ein Dutzend Versuche zugestehen, dann schaff ich es sicherlich am Ende. … Irgendwann - verflixt, das ist gar nicht einfach!

 

Fazit:

Wir ihr sehen könnt, hier geht es weder um besonders lyrische Sprache, noch einen logischen Handlungsverlauf. Einmal hing ich in einer Schleife fest, die mich x-mal quer durch das Buch hetzte: immer ein Gegner mehr, endlose Scharen an Hummerwachen - keine Chance zu gewinnen! Denn selbst bei einem Sieg kam ja nur ein weiterer Kämpfer. Ich bewundere Autoren die dazu in der Lage sind, tatsächliche eine vollständige Geschichte zu erzählen die in so viele Teile aufgebrochen ist. Ich meine: Das hier bricht an jeder Ecke in mindestens 2 verschiedene Wege auf. Dann kreuzen sich die Pfade ab und an und die meisten laufen einfach in den Tod des Helden. Jedes Mal denkt man sich: Hätt’ ich bloß hier oder da. Viele Wege führen nach Rom, ja vielleicht, aber nicht zur Seehexe! Hier gibt es nicht so viel Spielraum, die Kunst ist diesen zu finden. Am Ende werde ich das ganze Buch gelesen haben, einige Abschnitte mehrfach. Und ich werde alle Hinweise zusammen haben. Aber mal eben in einer Stunde hier durchmarschieren, dass schafft keiner. Dafür hat das Spiel gesorgt. Denn manchmal sind die ‚besten‘ Lösungen fatal und die dümmsten Ideen echte Glücksfälle. Um die Ecke Denken hilft aber nur bedingt, denn dann passiert einfach wieder der Zufall: „Da - da - daaaaa!“

Es macht Spaß und geht einem ziemlich auf die Nerven. Fluchend klappt man das Buch zu und knurrt es an. Dreht sich mit dem Fuß aufstampfend um und verschränkt die Arme. Dann dreht man sich über die Schulter zurück: „Na gut … ein Versuch noch!“
Warnung: Fangt nicht an, wenn ihr grad nur ne halbe Stunde Zeit habt! Es könnte voll doof sein, irgendwo zu unterbrechen oder etwas zu vergessen. Empfehlung: Wer keine Ahnung hat was an Rollenspielen toll sein soll: Da! DAS ist das Tolle - „Try and Die“! Danach regt ihr euch nie wieder darüber auf, warum Autor XY seinen Char AB nach QR hat gehen lassen, statt gleich UV anzugreifen!

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