Rezension

Ergreifendes Porträt einer Vater-Tochter-Beziehung, umzäunt von Stacheldraht.

Die Rache der Polly McClusky - Jordan Harper

Die Rache der Polly McClusky
von Jordan Harper

Bewertet mit 5 Sternen

Harter Überlebenskampf auf den Straßen der USA, kompromisslos und brutal. Wenn Road-Trips im Verbrechermilieu angesiedelt werden, ist von vornherein klar: Hier wird es schwer gewaltätig. Es gibt einige Parallelen beim Handlungsverlauf zwischen dem vorliegenden Roman "Die Rache der Polly McClusky" des Autors Jordan Harper und solchen Gangsterfilmen wie "Bonnie and Clyde", aber noch mehr Unterschiede. Vor allem ein Detail ist wesentlich: Hier suchen nicht zwei Erwachsene, sondern Vater und Tochter ihr Heil in der Flucht auf der Straße - Gesetzesüberschreitungen inklusive. Zum anderen zieht die elfjährige Polly nicht freiwillig mit ihrem Erzeuger durch die Lande, sondern wird von ihm mehr oder weniger gekidnappt, als sie aus der Schule kommt. Das wiederum weckt Assoziationen zu dem Film "Perfect World". Doch hat der vorliegende Roman seinen ganz eigenen Duktus. Bestimmt wird dieser vom eigenwilligen Charakter der beiden Hauptpersonen. Der Vater: wortkarg, derb, kaltschnäuzig, reichlich ausgestattet mit Beschützerinstinkt und ferngesteuert von einem toten Bruder. Die Tochter: introvertiert, schüchtern und doch voller innerer Revolte, intelligent, fantasiebegabt und meisterlich im Übertragen von Gefühlen und Gedanken auf ein Stofftier. Und so muss ein alter Teddybär herhalten für Pollys emotionale Eruptionen, was selbst diesem hartgesottenen Dad verblüfft. Natürlich hat Nate McClusky Gründe für sein Handeln. Doch Polly, die überzeugt ist, von der Venus zu stammen, braucht Zeit, um sie zu begreifen. Zunächst ist das Mädchen paralysiert, vor allem, als es nebenbei hört, dass die Mutter und der Stiefvater brutal ermordet wurden. Polly glaubt, ihr Vater, der soeben aus dem Knast entlassen wurde, sei es gewesen. Sie will fliehen. Es gelingt nicht. Was folgt, ist ein andauernder, gewaltfreier schweigender Kampf mit Nate, doch endlich begreift sie: Es geht um ihr Leben. Und natürlich das ihres Vaters. Der Boss einer einflussreichen Gangstergruppe hat einen Hinrichtungsbefehl gegen alle Mitglieder der McClusky-Familie erlassen, wobei er auch andere Gangs mit einem Kopfgeld für die Vollstreckung köderte. Nate weiß, dass die Polizei ihm nicht helfen wird oder kann. Mit zunehmender Rasanz, aber auch Brutalität gestalten sich die kommenden Wochen auf der Straße, in diversen Autos, in verschiedenen Städten. Aus Vater und Tochter wird ein Gespann. Sie sind Überlebenskünstler. Und doch weiß Nate, dass es so nicht weitergehen kann. Der raue Kerl mit der harten Schale zeigt seinen weichen Kern. Was er nie für möglich gehalten hatte: Seine Tochter wird sein Ein und Alles. Und auch umgekehrt. Auf ihrem Weg durch die USA lernen Vater und Tochter nach und nach sich zu lieben. Polly merkt, dass sie den harten Mann nicht nur zum Überleben braucht. Doch mit Idylle hat dieses familiäre Zusammenwachsen rein gar nichts zu tun, denn die Ursachen dafür bleiben die gleichen. Und so schildert Harper seine Geschichte mit einer Wucht, die den Leser nach Luft schnappen lässt. Oder, die Story "schlägt ein wie das sanfte Brennen eines Schluck Whiskeys und trifft tief in den Bauch mit seiner Tour de Force". Wer meint, auch nur halbwegs mit dem US-amerikanischen Rechtssystem samt seinen Ermittlungsbehörden aus Literatur und anderen Medien vertraut zu sein, kann seine gesammelten Erkenntnisse über Board werfen. Die Realität nach diesem spannenden Roman ist ungleich härter und weniger auf Happy End ausgerichtet. Dementsprechend ist die Sprache Harpers auch kompromisslos, die Protagonisten zumeist verroht und erbarmungslos - im günstigsten Fall dämlich oder feige. Und nur in Ausnahmefällen gut und menschlich. Und seine indirekte Kritik an der Rechtsordnung erinnert mitunter an die eines John Grisham. Es ist nur die eine Seite eines Staates die der Autor hier beschreibt. Aber es ist genau die Seite, die ein großes gesellschaftliches Manko aufzeigt, das nicht nur auf die USA beschränkt und auch anderswo Brutstätte für Kriminalität und Terrorismus ist: die riesige soziale Diskrepanz, aus der die schwächsten Glieder als Gewinner vom Platz gehen. Was sich der Autor für das Ende seines Roadtrips ausgedacht hat, ist überraschend und passend. Man mag an "Polly McClusky" auch Schwächen ausmachen, wie die so schnell kaum nachvollziehbare Veränderung des Mädchens. Man kann Harpers Straßen-Slang abstoßend finden, sein Buch als zu brutal ablehnen. Fakt aber ist, dass der Autor genau damit die Seele berührt und einfach Menschlichkeit einfordert. Ein spannender Roadmovie um ein ungewöhnliches Vater-Tochter-Duo. Ein bisschen wie ein alter Western, aber doch sehr emotional und absolut ungewöhnlich. Ein Thriller über Rache, zerbrochene Seelen und viele Leichen. Klasse Stoff!