Rezension

Eine starke, umfassende Einführung!

Die deutsche Gegenwartsliteratur - Michael Braun

Die deutsche Gegenwartsliteratur
von Michael Braun

Bewertet mit 4 Sternen

Das Buch ist in 7 Kapitel unterteilt, die jeweils mit einer Überschrift versehen sind, welche die Problematik eines bestimmten Aspekts im Zusammenhang mit der Gegenwartsliteratur darstellen. Exemplarisch wird die Stellung der Gegenwartsliteratur unter Anderem in den Medien, der Geschichte und dem Film aufgezeigt.

 

Begriffsklärung „Was ist Gegenwartsliteratur?“
Gegenwartsliteratur im Kulturbetrieb
Gegenwartsliteratur als Skandal
Gegenwartsliteratur erzählt Geschichte
Gegenwartslyrik im Dialog
Gegenwartsliteratur und Film
Wie studiere ich deutsche Gegenwartsliteratur?

 

Die Kapitel haben alle dieselbe Stärke und Relevanz, keines geht neben dem anderen unter.

Besonders gut gelungen fand ich den Einstieg: Für mich war Gegenwartsliteratur immer alles nach 1945, darüber habe ich mir weiter nie Gedanken gemacht. Das Buch gibt aber optionale Vorschläge, ab wann man von GL sprechen könnte. Den Begriff kann man sehr eng und sehr weit fassen, was es wahrlich schwierig macht und trotzdem widmet sich der Autor dem sehr kompetent! Hier werden verschiedene Meinungen parallel gut dargestellt.

Mir waren viele Aspekte des gegenwärtigen Literaturlebens gar nicht so bewusst, z.B. dass Autor und Leser ja plötzlich Zeitgenossen sind und sich der Autor heute vor allem medial sehr umfassend präsentieren kann. Das alles bewirkt ein völlig neues Leseerlebnis. Dieses Buch hat mir bereits in den ersten zwei Kapiteln so viele neue Erkenntnisse verschafft, dass es das Gefühl habe, dass es mir jetzt im 4. Semester besonders gelegen kam, um auch meine leicht eingestaubten Eindrücke noch einmal aufzufrischen.

Mir fehlt aber wirklich die Behandlung einer der wichtigsten Bestandteile der deutschen Gegenwartsliteratur: Das Drama. Es wird am Anfang begründet, dass man es mit Absicht herauslässt, aber an meiner Universität wurde es ja auch gelehrt, trotzdem wir keines der Stücke gerade live miterleben durften. Wenigstens ein Drama hätte man exemplarisch auswählen können, meinetwegen etwas von Dea Loher oder Roland Schimmelpfennig. Gerade als Großstadtmensch halte ich Lyrik und Dramatik für die wichtigsten (auch performativen) Genres, welche die Kulturstrukturen meiner Stadt widerspiegeln, die Theater quellen ja über vor neuen, frischen Gegenwartstexten, die auf die Bühne gebracht werden.

 

Ich halte dieses Buch vor allem für Studenten geeignet, die bereits ihre Grundlagenkurse hinter sich gebracht haben. Das Buch setzt einiges Wissen voraus. Gerade was gewisse Fremdwörter angeht oder Autorennamen. Hier wird auch weniger auf Unterhaltungsliteratur eingegangen, sondern es wird in der Tradition des Kanons an Bücher angeknüpft, die unter Kritikern und wohl auch Wissenschaftlern als literarisch wertvoll bezeichnet werden können. Ab dem 3. Semester sollte man es ohne größere Probleme auf jeden Fall gut in sein bisheriges Wissen einfügen können.

 

Ich habe dieses Buch aus reinem Interesse für mein Germanistik-Studium bestellt, da ich in meinem Grundkurs zur Neueren Deutschen Literatur mit Gegenwartsliteraten (Judith Hermann, Albert Ostermaier, Durs Grünbein, Björn Kuhligk, Ulla Hahn, Cornelia Becker, Dea Loher, Lothar Trolle, uvm.) zum ersten Mal in Kontakt getreten bin.

Davor habe ich mich eher gescheut, gegenwärtige Literatur wahrzunehmen und auch zu lesen. Wie sich im Grundkurs herausstellte, waren mir die Texte der u. A. obigen genannten Autoren doch sehr zugänglich.

Da ich allerdings noch einige Semester vor mir habe,  schließe ich nicht aus, dass dieses Buch mir durchaus noch bei Prüfungsvorbereitungen für zukünftige Seminare behilflich sein wird. Insbesondere da ich in den folgenden Semestern noch Seminare belege, in denen es um das Zusammenspiel von Literatur und Kulturwissenschaft und die Verbindung Literatur und Film gehen wird, denke ich, dass sich hier exemplarisch auf jeden Fall etwas aus dem Buch ziehen lässt.

 

 

Der Inhalt wird sehr verständlich dargeboten. An einigen Stellen wäre es vorteilhaft, wenn es für gewisse Fremdwörter Erklärungen gäbe. Als Erstsemester hätte ich mit den Begriffen „Epigonalität“, „Pluralität“, etc. gar nichts anfangen können.

Man muss sich auf die thematischen Komplexe gut einstellen, einem werden sehr, sehr viele Informationen, Namen und Details in einem einzigen Kapitel dargeboten. Ich schätze dieses Buch vor allem für seine Anforderungen, nicht oberflächlich sein zu wollen, manchmal ist es nur sehr detailliert.

 

Das Layout ist für ein Lehrbuch sehr akzeptabel. Als Student der Literaturwissenschaften ist man es wahrscheinlich gewöhnt, viele und lange Texte zu lesen, für Neustudenten könnte die Textmasse etwas überfordernd wirken. Bilder, Listen und kleinere Übersichten werden funktional und beispielhaft eingesetzt, so bekommen Autoren wie Herta Müller und Daniel Kehlmann ein Bild und es werden Grafiken zum literarischen Feld oder zur literarischen Kommunikation geboten, um die gesamte Konzeption des Buches aufzulockern.

Die fettgedruckten Stichworte am Rand sorgen für eine leichte Orientierung innerhalb der Kapitel.

 

Sehr angenehm sind die kurzen Einleitungen der Kapitel und die umfangreichen Literaturlisten, die sich dort anschließen. Damit ist ein Weiterforschen auf dem jeweiligen Themengebiet schon stark erleichtert, da man sich im Studium doch gern einmal schwer damit tut, passende weiterführende Lektüre für eine Thematik zu finden.
 

Besonders hilfreich finde ich zudem das letzte Kapitel „Wie studiere ich deutsche Gegenwartsliteratur?“. Hier wird der professionelle Umgang mit PC und Internet und den neuen Medien hervorgehoben. Heutzutage kann jeder kritisieren und rezensieren. Man sollte sich natürlich bewusst machen, dass es zu gegenwärtiger Literatur oft mehr Literaturkritik als Literaturwissenschaft gibt, da die täglichen Medien wie Zeitschriften und Fernsehen schneller reagieren können und sowohl für Literaturtrends als auch für den totalen Verriss sorgen können.

Interessenten der Gegenwartsliteratur lege ich besonders neuere Literatursendungen ans Herz wie Elke Heidenreichs „lesen!“ oder das zum großen Teil vom Literaturkritiker Denis Scheck geführte Magazin „lesenswert“, in dem er auch die Bestsellerlisten sehr, sehr kritisch betrachtet.