Rezension

Eine Reise der Hoffnung durch dunkle Lande

Die Goldatmerin - Susanne Markgraf

Die Goldatmerin
von Susanne Markgraf

Bewertet mit 5 Sternen

Das ist mal wieder so ein Buch, das ich nicht in mein übliches Pro-Kontra-Schema pressen möchte und kann. Dafür ist es einfach zu außergewöhnlich, und Dinge wie Spannungsaufbau und Tempo werden bei diesem Buch nicht darüber entscheiden, ob ein Leser es mit Gewinn lesen wird oder nicht.

Als ich das Buch das erste Mal in der Hand hatte, habe ich natürlich direkt die Beschreibung hinten auf dem Einband gelesen:

"Die 13-jährige Lisa Lehmann flüchtet sich von Zeit zu Zeit in die Welt der Farben, in der sie auf riesigen Vögeln, den Di'erabinai, reiten und mit ihrem Freund und Beschützer, dem großen Wolf Do'inoboro, dem Unaussprechlichen aus dem Weg gehen kann. Mit der Kraft der Farbmagie lernt sie, sich dem Ungeheuerlichen zu stellen."

Aha. Also ein Fantasyroman für Kinder? Hmm. Als nächstes kam der Klappentext dran:

"Lisa Lehmann, 13 Jahre alt, ist alles in allem ein ziemlich pfiffiges Mädchen. Allerdings: Lisa tickt nicht richtig. Deshalb geht sie jede Woche zu Frau Dr. Freudensprung, die nicht nur Psychologin, sondern darüber hinaus auch Farbmagierin und Hüterin eines ganz besonderen Tores ist.

Bald wird klar, warum Lisa nicht richtig tickt: Es hat etwas mit dem Vater zu tun. Lisa ... komm ... lass mich das machen ... So lockt Lisas Schattenschwester Lena sie an fremde, geheimnisvolle Orte, sobald der Vater auf der Bildfläche erscheint. Immer stärker wird Lisas Drang, zu erfahren, was es mit dem Vater auf sich hat. Mit der Hilfe von Frau Doktor Freudensprung, dicht gefolgt von den Völkern der Do´inoboroì und der Di´erabinaì, sowie den Wiesenleuten, gelangt Lisa endlich an das Tor der Tore, hinter dem sich der Abgrund der vollkommenen Erinnerung befindet. Gut, dass Lisa in die Geheimnisse des Goldatmens eingeweiht wird, denn nur dank dieser speziellen Farbmagie wird sie am Ende ihrer Suche eine erstaunliche Entdeckung machen..."

Oh... Hier ist schon ziemlich eindeutig, worum es gehen wird: sexueller Missbrauch und Trauma-Bewältigung. Verrät das denn nicht schon zu viel, so dass die Spannung verloren geht? Nein, habe ich später festgestellt, denn in diesem Buch ist, wie im Leben, der Weg das Ziel.

Das Vorwort hat der Chefarzt einer psychosomatischen Klinik geschrieben, und damit ist auch klar, dass die Autorin dieses Buch aus persönlichen Erlebnissen heraus geschrieben hat. Also eine Art Autobiographie in Fantasy-Verpackung? Es hat eine Weile gedauert, bis ich mich einfach in die Geschichte habe fallen lassen, ohne mich ständig zu fragen, was ich hier eigentlich lese... Aber sobald ich mich darauf eingelassen hatte, hat mich das Buch nicht mehr losgelassen.

Was mich immer wieder tief beeindruckt hat: trotz der herzzerreissenden, traumatischen Geschehnisse, die Lisas Reise zugrunde liegen, strahlt das Buch eine unglaublich positive Energie aus - der Fokus liegt nicht auf Hass, sondern Heilung, nicht auf Trauer, sondern der Liebe zum Leben. Natürlich war ich beim Lesen oft betroffen und wütend, aber auch positiv berührt und hoffnungsvoll. So bunt, fantasievoll und poetisch habe ich dieses Thema noch nie verarbeitet gesehen, mit einem wirklich einzigartigen, außerwöhnlichen Schreibstil. Im letzten Viertel gibt es noch eine unerwartete Wendung, die mich sehr überrascht hat... Lisa ist dabei stets eine sympathische Heldin, mit der man mitfiebert und der man die Daumen drückt. Zum Schluss habe ich das Buch mit einem Gefühl warmer Zufriedenheit und großem Respekt vor der Autorin zugeschlagen.

"Die Goldatmerin" ist ein Buch, auf das man sich einlassen muss, aber es lohnt sich!