Rezension

eine etwas andere Dystopie

Eine amerikanische Familie - Lionel Shriver

Eine amerikanische Familie
von Lionel Shriver

Bewertet mit 5 Sternen

Der Präsident der USA verkündet im Jahr 2029, dass die USA sich nicht an der weltweiten Währungsreform teilnimmt, keine Dollars mehr ausgeführt werden dürfen und niemand die neuerschaffene Währung vom Rest der Welt einführen darf. Außerdem muß jeder all seine Goldreserven abgeben. Florence Mandible versucht die Familie mit ihrem Job in der Obdachlosenunterkunft über Wasser zu halten. Ihre Schwester steht finanziell besser da. Aber auch sie und ihre Familie sind von der Krise betroffen. Auch weitere Geschwister und die Eltern verlieren alles. Alle finden bei Florence notgedrungen Asyl. Man muß zusammenrücken. Essen, Klopapier, Medikamente usw. werden erst knapp, dann gibt es sie gar nicht mehr. Wie überlebt man in dieser Welt ? Florences Sohn Willing durchschaut als 13jähriger schon, was nötig ist und leitet die Familie durch die Not und die Wirren der 30er Jahre. Wir begleiten die Familie bis in die 2050er Jahre bzw. was von der Familie übrig ist, mit Ausblicken, Rückblicken und Zukunftsperspektiven.

Dieser Dystopieroman ist anders, da wir mitten im Geschehen sind. Es gibt noch keine neue Ordnung, sondern wir sind dabei, wie die alte Ordnung ins Chaos stürzt, wie man sich an alte Werte und Normen klammert und versucht, den Alltag aufrecht zu erhalten. Dies wird immer schwieriger, da die Welt auf den Kopf gestellt zu sein scheint. Man erlebt die Enge in dem Haus und leidet mit Willing, der sein Bett nun mit dem unsympathischen Cousin teilen muß. Es gibt für niemanden mehr Privatsphäre und alles muß geteilt werden. Alte Familienkonflikte schwelen unter der Oberfläche, kommen aber nicht zum Ausbruch, da dies das fragile Zusammenleben gefährden würde. Sogar aus dem Ausland kommt noch eine Tante und die Frau des Großvaters ist dement. Was unter normalen Umständen schon schwierig ist, wird angesichts des Hungers, Wassermangels, Geldverlustes und dass nichts mehr funktioniert, zu einem verzweifelten Kampf ums Überleben. Und doch geht es immer noch schlimmer.

Dies Buch ist spannend geschrieben, sehr realitätsnah und beeindruckend. Man hat das Gefühl, es sei Nachkriegszeit. Allerdings gab es keinen Krieg. Die Anpassungsfähigkeit von Menschen ist beeindruckend. Erschreckend jedoch, wie schnell unsere Normalität (Beruf, Schule, Einkaufen, Auto, medizinische Versorgung, Strom, fließend Wasser etc.) zerstört werden kann. Womit ich Schwierigkeiten hatte, war die Finanzpolitik, da ich keine Ahnung von Verschuldung, Tilgung und Wirtschaftswissenschaft habe. Dies nahm im ersten Teil des Buches viel Raum ein. Aber auch ohne die Bedeutung im Einzelnen zu verstehen (was einigen Figuren im Buch auch so geht), konnte man die Folgen deutlich nachvollziehen. 

Sehr empfehlenswert und fesselnd.