Eindrucksvoll und bewegend erzählt
Bewertet mit 5 Sternen
Mit dem Roman „Schatten der Welt“ gelingt dem Autor Andreas Izquierdo ein umfassendes Portrait jener strengen, preußischen Vorkriegsjahre und der Willkür des Ersten Weltkrieges zu zeichnen. Die drei Protagonisten, allen voran der sensible Carl, kommen aus ärmlichen Verhältnissen. Im damaligen Preußen gab es für die untere Klasse wenig Hoffnung, auf Veränderung ihrer Lebensumstände. Die moderne Technik bot da einen Ausweg. Man musste nur klug genug sein, um seine Chance zu ergreifen. Genau das tut der clevere Artur. Und tatsächlich scheint es, als ob die drei jungen Leute ihr Ziel erreichen. Bis der Krieg ihren Erfolg wieder zerstört. Plötzlich sehen sie sich einem sinnlosen Morden und erbarmungslosen Hunger gegenüber. An der Front sind die gesellschaftlichen Zustände wie gehabt. Das Sagen haben Adel und Großgrundbesitzer. Isi kämpft an der Heimatfront gegen Lebensmittelknappheit und die mächtigen Landbesitzer, die Profiteure des Krieges sind.
Auf über 500 Seiten erzählt der Roman von drei jungen Leuten, die ein Ziel verfolgen; ihr Leben selbstbestimmt gestalten zu können. Die Geschichte handelt von ihren Träumen, von ihrem Kampf gegen die Obrigkeit und die eigne Familie, aber auch von Freundschaft und den Mut etwas zu riskieren. Schonungslos wird sowohl der Umgang mit Dienstpersonal geschildert als auch die gesellschaftliche Rolle der Frau offengelegt, die in dieser Zeit wenige Rechte hat. Das Korsett der preußischen Ära ist eng, Titel sind alles.
Während des Krieges kämpft Artur an der Ostfront. Seine Erlebnisse werden detailgetreu wiedergegeben, sodass der Leser das Grauen der Schlachtfelder vor Augen hat. Das grausame, wahllose Morden und das Verheizen einer ganzen Generation, lässt der Autor in einer bildreichen Sprache auferstehen. Besonders herausheben möchte ich Carls Rolle während des Krieges. Als Fotograf und später als Filmregisseur schafft er Propagandabilder, die bis heute oftmals für bare Münze genommen werden. Doch es sind vielfach reine Inszenierungen. Der Erste Weltkrieg war ein Propagandakrieg. Carl verliert sich in seinen Inszenierungen und will diese weiter optimieren, ohne Bewusstsein dafür, was er tut. Seine Wandlung zu verfolgen, die dann jäh stoppt und Carl durch schreckliche Ereignisse wieder zu sich selbst findet, ist dem Autor fabelhaft gelungen.
Isi, die Dritte im Bunde, hat es ohne ihre beiden Freunde zu Hause in Thorn schwer. Sie ist eine emanzipierte, junge Frau, die sich durch ihr rebellisches Wesen immer wieder in Schwierigkeiten bringt. Ihr unbeugsamer Mut, den sie oftmals an den Tag legt, verlangt Respekt. Ab und an hoffte ich, sie würde es diesmal nicht bis zum Äußersten ausreizen, trotzdem konnte ich ihr Tun und ihre Wut nachvollziehen.
Jeder der drei Freunde hat in diesen Kriegsjahren viele entsetzliche Dinge erlebt. Das Romanende lässt Hoffnung aufkeimen, dass Carl, Artur und Isi eines Tages wieder zusammen finden.
Das Buch ist ein außergewöhnliches Stück Zeitgeschichte. Der Erzählbogen hält über die vielen Seiten seine Spannung aufrecht. Sein leichter, detaillierter Schreibstil führte mich in die Welt von Thorn. Besonders mochte ich die eingebauten Cliffhänger, die immer vorab erahnen ließen, dass da noch was kommt. Trotz vieler Ungerechtigkeiten und tragischen Momenten, habe ich auch oft gelacht. Vor allem aufgrund der Versessenheit einen Titel verpasst zu bekommen und der Unverfrorenheit der jungen Hauptfiguren. Ich habe das Buch nur ungern für eine Lesepause aus der Hand gelegt. Auch die Geschichte von Carl, Artur und Isi wird mich noch einige Zeit beschäftigen. Mich hat der Roman vollends gefangen genommen und begeistert. Ich kann diesen Roman uneingeschränkt empfehlen. Und ich freue mich sehr auf die Fortsetzung!