Rezension

Ein Verwundeter in einem kranken Land

Unter der Drachenwand
von Arno Geiger

Bewertet mit 4 Sternen

Es tobt der Zweite Weltkrieg. Veit Kolbe ist Soldat, in Russland verwundet. Seine wuchernde Beinverletzung hat ihm Urlaub in Mondsee verschafft. Doch die offensichtliche Verletzung ist nicht der einzige Schaden, den der Krieg Veit Kolbe zugefügt hat. Immer wieder suchen ihn die Erlebnisse des Krieges in seinen Träumen und Visionen heim. Dabei empfindet Veit weit größere Angst als in Russland am Ort des Geschehens, als er noch mitten drin war. So fürchtet der Verwundete auch die alle paar Wochen stattfindenden Arzttermine , wo geprüft wird, ob er wieder zurück ins Feld kann. 

Im Schatten der Drachenwand liegt Mondsee beschaulich und beschützt fernab von den kriegsgebeutelten Großstädten des Reiches. Die Kinderlandverschickung unterhält mehrere Lager dort. Ansonsten ist nicht viel los für einen Verwundeten. Um dem Trübsal zu entkommen, schreibt Veit Kolbe Tagebuch. Dieses bildet nun ergänzt von postalischer Korrespondenz weiterer Charaktere den Text, den wir lesen.

Arno Geiger schafft eine düstere Atmosphäre von einem Land kurz vor dem Kollaps. Die Jugend wird als Kanonenfutter verheizt, während die Älteren noch Aufrichtigkeit und Rechtmäßigkeit predigen. Der Mangel an Lebensmitteln und Kleidung hat auch den letzten erreicht. Viele Menschen befinden sich auf der Flucht. Über stete Briefwechsel versuchen die verstreuten Familien in Kontakt zu bleiben und sich gegenseitig auf dem Laufenden zu halten. Die Bedeutung der Post wird vom Autor hervorragend herausgearbeitet. Mir war das gar nicht so bewusst.

Zeitweise liegt die Hoffnungslosigkeit so stark zwischen den Zeilen, dass das Lesen müßig wurde. Interessant war die Lektüre für mich trotzdem. Besonders erstaunt hat mich das Nicht-Glauben-Wollen an die bevorstehende Katastrophe. Die jüdische Familie ist den Schritt der Flucht aus Wien letztlich nicht schnell genug angegangen, dann hat sie sich nicht weit genug von deutschem Einflussgebiet entfernt. In Darmstadt haben die Leute ebenfalls nicht daran geglaubt, dass die Bombardements die Stadt dem Erdboden gleich machen könnten. Nicht wenige haben bis zuletzt noch an einen Sieg geglaubt.

Insgesamt lesenswert.