Rezension

Ein provokantes, doch unausgewogenes Buch

Im Blick - Marie Luise Lehner

Im Blick
von Marie Luise Lehner

Bewertet mit 2.5 Sternen

Sind wir mutig oder naiv?

„Wir könnten uns in den nächsten Wochen entscheiden, uns wieder voneinander zu entfernen. Wir könnten aber auch zusammen sein und einen Alltag miteinander haben. Ich kann mir beides vorstellen.“

 

Die namenlose Ich-Erzählerin des Buches lässt den Leser teilhaben an ihrem Leben. Zunächst schildert sie eine Freundschaft mit Anja, die genauso alt ist, wie sie selbst und mit der sie sämtliche Erfahrungen ihrer Jugend gemacht hat. Gemeinsam waren sie 11, dann 12, dann 13 Jahre alt…

Und nun ist ebenjene Frau erwachsen, lebt ganz bewusst homosexuell und schildert einprägsam ihre gegenwärtige On-/Off-Beziehung mit ihren Höhen und Tiefen. Die Erzählstränge laufen parallel, wechseln einander ab und skizzieren einen größeren Lebensabschnitt, sodass man das Buch durchaus als Coming-of-Age Roman bezeichnen kann. Besonderes Augenmerk bekommt jedoch nicht die zwischenmenschliche Seite der Einzelbeziehung, sondern die Außenwirkung, die Erlebnisse und Erfahrungen der Frauen, die in immer neuen fast unzähligen Kleinigkeiten aufgearbeitet werden und dem Leser einen sehr aggressiven Feminismus präsentieren. Die Grenzen zwischen dem Du und dem Ich verwischen immer mehr, scheinen auch vollkommen irrelevant zu werden, stattdessen manifestiert sich eine für mich fragwürdige Gesamtaussage, die vor allem das Feindbild Mann im Fokus hat.

Die junge österreichische Autorin Marie Luise Lehner schreibt kontroverse, unabhängige Romane, die genau darauf basieren, andere aufzurütteln, ihnen Unglaubliches zu präsentieren und nicht unbedingt Sympathien zu wecken. Ihr Schreibstil wirkt modern, bietet poetische Gedanken und Schimpfwörter in fast einem Atemzug, wirkt flüchtig und intensiv gleichermaßen und scheint ein persönliches Markenzeichen zu sein. Bereits in ihrem Roman „Fliegenpilze aus Kork“ greift die Autorin Begriffe wie Lieben und Geliebtwerden auf, gestaltet sie authentisch, menschlich, manchmal hilflos, dann wieder hoffnungsfroh, doch hier wird dieser Gedankengang nur peripher berührt und zu Gunsten einer radikalen, feministischen Ansicht verdrängt, die im Laufe des Textes immer brisanter wird und mich nach und nach abgeschreckt hat.

 

 Positiv beurteile ich den Umgang mit den diversen Geschlechterrollen, ein Spiel zwischen männlichen und weiblichen Eigenschaften, die nicht zwangsläufig angeboren, vielmehr anerzogen zu sein scheinen – hier horcht man als Leser in sich hinein, ob genau diese Vorurteile nicht ausschlaggebend sind, ob man nicht selbst in Klischees denkt und Frauen immer in die Opferrolle drängt oder Männer als Macher ansieht. Allerdings verliert auch dieser zweite Ansatz des Buches an Potential. Was bleibt nun auf den wenigen 186 Seiten Lesestoff? Eine holprige, anklagende Schrift gegen die Unterdrückung des weiblichen Geschlechts, ein Aufruf zu mehr Feminismus zwischen den Betroffenen und der Vorschlag sich gegenseitig zu stärken, gegen die schiere Übermacht des männlichen Sexismus.