Rezension

Ein lesenswertes Werk

Bonsai - Alejandro Zambra

Bonsai
von Alejandro Zambra

Bewertet mit 5 Sternen

Dieses Werk ist Literatur. Eine klare Leseempfehlung, auch der Sprache wegen.

Das Werk von Alejandro Zambra umfasst 79 Seiten (reiner Text), die sich in fünf in etwa ähnlich große Abschnitte aufteilen: Knäuel, Tantalia, Leihgaben, Überreste, Zwei Zeichnungen.

Im ersten Satz ist gleich vom Ende die Rede. Und im Vierten wird angekündigt, dass der Rest Literatur ist.

Im ersten Teil wird eine kaum romantisierte Geschichte zweier jungen Studenten vor Augen der Leser ausgebreitet, die zufällig zusammenkommen und eine Zeit lang eine Beziehung führen. Das Erzählen geschieht so gekonnt, so realistisch wie ungekünstelt, dass man sofort im Geschehen ist und die Ereignisse wie die Gedankengänge des Erzählers unmittelbar erlebt. Emilia und Julio schienen wie zwei Archetypen der heutigen jungen Leute in Chile: der junge Mann, der die Ernsthaftigkeit in den Beziehungen meidet und die junge Frau, die ihre Freiheit auf sexueller Ebene genießen und das Leben auf diese Weise erkunden will. Um die Gefühle oder ähnliches geht es hier nicht. Schon seltsam, denn die beiden haben Etliches gelesen, sind gebildete Menschen, trotzdem schaffen sie nicht, ihre Beziehung mit so etwas wie Liebe zu füllen. Wie zufällig sie zusammenkommen, so unspektakulär gehen sie irgendwann auseinander. Zu einer Familie mit Kindern, wie es bei Emilias Freundin Anita der Fall ist, kommt es nie.

Im zweiten Teil wird mit psychologischer Genauigkeit analysiert und Hintergründe erläutert, wie es zum Bruch dieser Beziehung kam. Hier werden die literarischen Werke herangezogen, die sich die beiden vor dem Sex jedes Mal vorlesen und der Bruch auf diese Weise erklärt.

In vierten Teil schreibt Julio u.a. an einem Roman und lernt eine andere Frau, Maria, kennen.

Im letzten Teil beschäftigt sich Julio, der nun allein in einer kleinen Wohnung im Souterrain lebt, mit dem Aufziehen der Bonsai. Ein solches Bäumchen ist nur dann von Wert, wenn es in der für ihn passenden Schale steckt. Ohne Schale ist es kein Bonsai, erfährt er. Also schafft sich Julio ein neues Bild der idealen Frau und kommt zu einer Einsicht, was das Schreiben und Bonsai-Aufziehen verbindet.

Mit wenigen, aber präzisen Worten schafft der Autor klare wie eindrucksvolle Bilder, die noch eine Weile nachhallen. Man kann etliches dort hineininterpretieren, oder es sein lassen, den kurzen Roman einfach wie eine romantikfreie Sexgeschichte, die keine Zukunft hat – über die Gründe kann man lange und ausgiebig spekulieren, ansehen oder ihn als Hilferuf, als Gesellschaftskritik am heutigen Chile verstehen, in dem junge Frauen keinen Platz im Leben finden und sich gezwungen sehen, nach Madrid auszuwandern, um auch dort ebendiesen Platz nicht finden zu können. Und die verantwortungsscheuen Männer, die bleiben, können nichts weiter als sich vor lauter unlösbarer Probleme in das Aufziehen der Bonsais flüchten und sich ideale Frauen ausmalen, usw.

Je länger die Bilder auf einen einwirken, desto mehr an Assoziationen, Ideen, möglichen Hintergründen und Erklärungen des Geschehens auftauchen und zum Nachdenken über das Leben und die Liebe anregen.

Fazit: Der vierte Satz stimmt. Dieses Werk ist Literatur. Am Buchrücken ist Folgendes von Rolling Stone zu lesen: „Ein dunkles Buch, das seine Leser erleuchtet.“ Gut möglich. Eine klare Leseempfehlung, auch der Sprache wegen.