Rezension

Ein Jugendbuch, das die Augen vor wichtigen Themen nicht verschließt

Das hier ist kein Tagebuch - Erna Sassen

Das hier ist kein Tagebuch
von Erna Sassen

~~Ein Junge. Ein schwerer Schicksalsschlag. Tiefe Depressionen. Und ein Tagebuch.
In der Hoffnung auf eine Besserung seines Verhaltens und seines Gemütszustandes bekommt der sechzehn-jährige Boudewijn, auch Bou genannt, ein Ultimatum von seinem Vater gestellt: Entweder er führt täglich Tagebuch und hört das Stabat Mater von Pergolesi oder ihm droht die Einweisung in eine psychiatrische Klinik. Wenn auch gegen seinen Willen führt Bou denkend und erinnernd Buch darüber, was ihn vor vielen Jahren in ein tiefes Loch hat fallen lassen: Den Freitod seiner Mutter. 

Mit ihrem Werk ,,Das hier ist kein Tagebuch" hat Erna Sassen ein Jugendbuch verfasst, das die Augen vor wichtigen Themen nicht verschließt, sondern unverblümt deutlich macht, dass auch im Schweigen einer Person die Gefühle und Gedanken toben können, die sich kaum kontrollieren lassen, sich einfach über einen legen, einen einnehmen bis man sich selbst nicht mehr wiedererkennt und nicht mehr Herr seines inneren Zustandes ist. In diesem Werk stellt die Autorin Themen wie Depressionen, Verlust, Tod und Neuanfang im Alltag in den Mittelpunkt. Auch wenn man nicht darüber spricht, heißt es nicht, dass man frei von Sorgen ist. 

In Tagebuchform berichtet der sechzehn-jährige Boudewijn von seinen Gefühlen, die er fühlt oder nicht fühlt, von seinen Beschäftigungen, denen er nach geht oder eben nicht nachgeht, oder wie er sich erinnernd die Geschehnisse der Vergangenheit verarbeitet - mehr oder weniger ausführlich auf 189 Seiten festgehalten, die zum Schluss insgesamt drei Monate ergeben. Drei Monate, in denen der Leser Boudewijn, seine Familie und seine Gefühlslage kennenlernen darf.

Für mich persönlich war die Vorstellung ein Buch zu lesen, das in Tagebuchform verfasst worden ist, ziemlich spannend, weil sich dahinter auch eine gewisse Herausforderung birgt die Gedanken und die Struktur möglichst authentisch herüberzubringen, ohne dass es 'zu dick aufgetragen' wirkt.  Jeder, der selbst schon einmal Tagebuch geführt hat, weiß, wie jeder Eintrag von seiner Regelmäßigkeit, seiner Länge und von seinem Inhalt variieren kann, und in diesem Fall hat die Autorin die Aufgabe der Darstellung gut gemeistert, denn ohne viele stilistische Mittel bringt die Autorin die nackten Gedanken- und Gefühlswelt eines Heranwachsenden zu Papier.
Aus diesem Grund waren die Einträge nicht immer angenehm zu lesen, denn Bou gewährt dem Leser in seinen Einträgen einen Einblick in sein Inneres, und dieses Innere ist ein dunkler Ort, gefüllt mit Selbstzweifeln, das Gefühl des Versagens, Wut, Schmerz, Enttäuschung. Es zu lesen und gleichzeitig feststellen zu müssen, dass das Geschriebene gar nicht so realitätsfern ist, war erschreckend. Leistungsdruck, das Gefühl nicht gut genug zu sein oder familiäre Probleme sind bekannt, aber man hat gemerkt, wie sehr die Menschen daran kaputtgehen, wenn sie nicht in der Lage sind darüber zu sprechen und stattdessen zu diversen 'Betäubungsmitteln' greifen. Dennoch waren auch kleine Lichtblicke vorhanden, die dem Leser etwas von der Schwere genommen haben, wie die kluge kleine Schwester Fussel oder wie Bou langsam eine positive Entwicklung macht, indem er lernt seiner Mutter zu verzeihen und wieder zu lieben, Menschen an sich heranzulassen.

Alles in allem waren die Einträge authentisch, allerdings konnte mich dieses Jugendbuch in seiner Gesamtheit nicht vollends überzeugen, denn dafür hat mir an manchen Stellen einfach die Tiefe gefehlt in Bezug auf manche Gedankengänge. Natürlich darf man nicht außer Acht lassen, dass es sich hierbei um ein Tagebuch handelt und daher geschrieben wurde, was gerade so in einem vorgeht, also drücke ich da ein Auge zu. Was mich dann aber ziemlich unschlüssig dagelassen hat, war das Ende. Es werden keinerlei weitere Hinweise dazu gegeben wie es nun mit Bou, seiner Familie und seiner Liebe weitergeht, also wird der Leser ganz seinen eigenen Interpretationen überlassen und das hat mich dann doch etwas unzufrieden zurückgelassen.