Rezension

Ein Inselsommer zwischen Selbstfindung und Verunsicherung.

Sommernovelle - Christiane Neudecker

Sommernovelle
von Christiane Neudecker

poetisch, fesselnd und dicht geschrieben.

Inhalt:

Pfingsten 1989: Lotte und Panda wollen die Welt verändern. Es ist die Zeit kurz vor der Wende, in der es für Jugendliche in der BRD vor allem Nord und Süd gab, nicht aber Ost und West. Deutschland liegt noch im Schatten der Wolke von Tschernobyl und jedes Gewitter bringt sauren Regen. Die beiden Freundinnen sind sich einig: Sie wollen handeln. Gemeinsam mit einer bunt zusammengewürfelten Truppe aus Rentnern und Studenten leisten sie ökologischen Dienst in einer skurrilen Vogelstation. Da ist etwa Hiller, der vogelbesessene Pensionär, der Panda in sein Herz schließt und ihr beibringt, das Meer zu deuten und den Himmel zu lesen. Er fasziniert sie mit seiner Liebe zur Literatur und taucht mit ihr ein in die Legende von Rungholt, der tief in der Nordsee versunkenen Stadt. Lotte nähert sich dem attraktiven Julian an, der sie für erwachsener hält, als sie tatsächlich ist. Langsam aber fügen sich die Eigenheiten der Station zu einem entlarvenden Mosaik zusammen. Und den Mädchen stellt sich die Frage, wie viel Idealismus man sich als Erwachsener eigentlich bewahren kann. Mit leuchtender Erzählkraft entführt Christiane Neudecker ihre Leser an die stürmische Nordsee, hinein in die Turbulenzen des Erwachsenwerdens – und in die Magie eines unvergesslichen Sommers. (Lovelybooks, Buchvorstellung)

Meine Eindrücke:

Christiane Neudecker, selbst Jahrgang 1974, zeichnet ein Landschaftsbild, das ich als Kind der späten 70er Jahre noch sehr gut kenne. Die Urlaubsinseln von damals hatten einen feinen Charme. Es gab noch keine riesigen Bettenburgen, niemand lief mit gesenktem Kopf auf ein Handydisplay starrend umher, und der Urlaub gestaltete sich einfach noch entspannt und ohne großartige, laute Vergnügungssucht. Was waren das schöne Zeiten... Wenn da nicht Katastrophen wie Tschernobyl, das Ozonloch, der kalte Krieg, die Algenplage, oder die explodierte Challenger gewesen wären.

Über all diese Dinge macht sich die 15 jährige Panda während ihrer Zeit auf der Vogelstation ihre Gedanken.

Sie genießt ihr Umwelt-Engagement auf der Insel sehr, aber ständig schweifen ihre Gedanken zu jenen Dingen ab, die sie zutiefst verunsichern, oder sagen wir besser, aufrütteln und gegen die sie gerne etwas tun würde.

Doch nicht nur die politische Lage wühlt Panda auf, sondern auch die skurrile Vogestation, bei der man den Eindruck bekommen kann, es ginge nicht mit rechten Dingen zu. Was ist der fast nie greifbare, verantwortliche Professor für ein Mensch und warum ist er so distanziert?

Eine wichtige Stütze für Panda ist Hiller, ein älterer Mann, der viel Erfahrung mit dem Vogelzählen hat. Hiller bringt ihr nicht nur das Vogelzählen bei, sondern auch was das Lesen angeht schwimmen die beiden auf einer Wellenlänge. So gibt er Panda ein literarisches Rätsel auf, das sich durch das Buch zieht. Auch Lotta macht ihre ganz eigenen Erfahrungen auf der Insel. Aber im Gegensatz zu Panda spielt sie eher eine untergeordnete, dennoch wichtige, Rolle.

Die Leichtigkeit des Insellebens wechselt sich ab mit der Schwere von Pandas Gedanken.

Man hört die Möwen schreien, die Wellen rauschen, aber es knistert hier und da auch ganz bedrohlich. Das Gefühlswirrwarr von 2 Jugendlichen spiegelt sich auf eine sehr feine Weise im Text wieder, der munter zwischen wundervollen Landschaftsbeschreibungen, verwirrenden zwischenmenschlichen Beziehungen und dem Zeitgeschehen von damals pendelt.

Die Situation auf der Vogelstation wird immer vertrackter, gleichzeitig schlägt auch die Stimmung des Buches um, genau wie das Wetter auf der Insel. Es wird melancholisch, düster und geheimnisvoll. Eine ganz eigene Dynamik entwickelt sich. Man ist einfach nur gefesselt von der Erzählweise.

Am Ende löst sich die Geschichte auf sehr sensible weise auf. Einiges wird zu Ende erzählt. Zu vielen Dingen muss man sich aber noch seine eigenen Gedanken machen. Teilweise offene Enden, die mich sonst stören kann ich hier tatsächlich zulassen, denn das Ende ist ist wundervoll geschrieben.

Fazit:

Man ist als Leser mitten drin. Es ist spannend, wildromantisch, aber auch schwermütig.

Ich kann als Leser die alten Zeiten noch einmal aufleben lassen. Kein Handy, kein internet, dafür aber noch Anrufe bei den Eltern, wenn man etwas wissen möchte, oder einfach der Blick ins Lexikon. Eine Zeit in der man sich Wissen noch erarbeiten musste und es nicht mit einem Mausklick vor der Nase hatte. Andererseits gab es aber auch die schweren politischen Kriesen und Umweltkatastrophen.

War das wirklich nur damals eine so spezielle, aufwühlende Zeit, oder passiert heute genau so viel Dramatisches, und man bekommt es einfach nicht mehr so mit?

Wie sehen die heutigen Jugendlichen die Welt? Etwa genau wie Panda in diesem Buch und wie wir als wir jung waren? Das Buch gibt mir solche Fragen auf, weil es nicht einfach nur eine Sommerlektüre ist, sondern viel, viel mehr.

Ich möchte gar nicht aufhören über das Buch zu schreiben, aber am besten ist es doch, wenn man sich selbst ein Bild macht, oder?

Eine klare Leseempfehlung für diesen poetischen und einfühlsamen „Retro-Roman“ an alle, die die alten Zeiten noch wertzuschätzen wissen oder an jüngere Menschen, die einmal kurz in die Gedankenwelt der 80er Jahre eintauchen möchten. :-)