Rezension

Ein Hemd des 20. Jahrhunderts

Ein Hemd des 20. Jahrhunderts - Yann Martel

Ein Hemd des 20. Jahrhunderts
von Yann Martel

Bewertet mit 3 Sternen

Der Schriftsteller Henry hat bereits sehr erfolgreich zwei Bücher veröffentlicht. Sein drittes jedoch, das vom Holocaust handelt, wird von den Verlegern verrissen. Frustriert gibt Henry das Schreiben auf. Er nimmt einen Job als Kellner in einem Café an, nimmt Klarinettenunterricht und schließt sich einer Theatergruppe an.
Eines Tages erreicht ihn der Brief eines Lesers, der ihn um Hilfe bittet. Henry besucht den alten Mann, der als Tierpräparator arbeitet. Ihm gehört die „Taxidermie Okapi“ (daher das Okapi auf dem Schutzumschlag). Er hat angefangen, ein Theaterstück zu schreiben, kommt aber nicht recht weiter. Das Stück heißt „Ein Hemd des 20. Jahrhunderts“. Es spielt in einem Land namens Hemd und handelt von Tieren, genauer gesagt, von Gräueln, die den Tieren angetan worden sind. Henry besucht den Alten immer wieder, lässt sich von ihm Szenen des Theaterstücks vorlesen und erläutern. Nach und nach dämmert es ihm, dass es ein Stück über den Holocaust ist. Er ist fasziniert davon, dass es dem Präparator gelungen ist, über den Holocaust zu schreiben, woran er selbst ja gescheitert ist.
Yann Martel kommt in seinem neuen Buch nur langsam zur Sache. Die erste Hälfte dümpelt etwas vor sich hin. Ich habe mich immer wieder gefragt: Was soll das? Wo führt das hin? Es wirkte auf mich doch alles sehr bizarr, zuweilen auch zusammenhanglos. Doch dann wird man immer tiefer in dieses Theaterstück hineingeführt, man kann sich nicht mehr entziehen. Man ist gefesselt davon. Genau so erlebt es auch Henry. Obwohl er ja eigentlich nicht mehr schreiben wollte, muss er sich einfach mit diesem Stück beschäftigen und auch einen Teil davon schreiben. Erst gegen Ende erkennt man, was hinter dem Präparator steckt, und hier kommt enorme Spannung auf.
Die Sprache ist wunderbar gehoben, jedes Wort pfeilgenau gesetzt. Das Buch ist nicht einfach zu lesen. Man muss sich schon ganz darauf einlassen, damit es vom Leser Besitz ergreifen kann. Aber dann bin ich davon überzeugt, dass es noch lange nachhallen wird.