Rezension

Ein gutes Buch zu einem sensiblen Thema mit einigen, kleinen Schwächen

Willow - Julia Hoban

Willow
von Julia Hoban

Bewertet mit 4 Sternen

Diese und weitere Rezensionen findest du auch in meinem kopf.kino! :)

// Was passiert //

Bis vor ein paar Monaten hat die 16jährige Willow ein normales Leben geführt: sie hatte eine beste Freundin, mit der sie über Jungs getratscht und ihre Zukunft geplant hat. Doch dann starben ihre Eltern bei einem Autounfall – den sie verursacht hat. Zumindest ist es das, was sie sich einredet. Seit der Tragödie lebt sie bei ihrem großen Bruder David, was bei ihr noch mehr Schuldgefühle auslöst. Einzig alleine das Schneiden hält sie davon ab, von ihrem emotionalen Schmerz verschlungen zu werden. Und dann lernt sie Guy kennen, einen Jungen aus ihrer Klassenstufe, der als erster und einziger Mensch von ihrem Geheimnis erfährt und sich in den Kopf setzt, sie davon zu befreien.

 

// Was ich denke //
Well well well… this was in interesting read. Willow hat in mir sehr zwiespältige Gefühle hervor gerufen, sowohl positive als auch negative. Genau genommen wusste ich schon, was passiert, denn ich habe das Buch bereits vor ein paar Jahren gelesen. Da ich mich erinnern konnte, dass ich es sehr gut fand, wollte ich es schon seit einiger Zeit noch einmal lesen.

Und tatsächlich ist meine Meinung noch die selbe: es ist eines der besten Bücher, die ich über das Thema SVV (Selbstverletzendes Verhalten) gelesen habe – und das waren einige. Julia Hoban schafft es unheimlich gut, die Gefühls- und Gedankenwelt von Willow, die sich seit ca. sieben Monaten selbst verletzt, darzustellen. Komplett von Schuldgefühlen zerfressen, ist das Schneiden für sie die einzige Möglichkeit, den emotionalen Schmerz zu unterdrücken. Sie macht sich nicht nur für den Tod ihrer Eltern verantwortlich, sondern genauso für alles, was dieser mit sich gebracht hat: dass sie nun bei ihrem Bruder David und dessen Frau Cathy wohnen muss, wo eigentlich weder der Platz noch das Geld für ein weiteres Familienmitglied übrig sind; dass sich eben dieser um Angelegenheiten kümmern muss, die eigentlich Eltern übernehmen, wie z.B. Elternsprechtage und schlechte Noten; dass sie ihn jeden Tag aufs Neue daran erinnert, dass sie ihrer beiden Eltern auf dem Gewissen hat. Willow schottet sich von allem und jedem ab, versinkt in ihrer eigenen Welt und hält sich eigentlich nur noch an ihren Klingen fest.
Und ich muss einfach sagen, dass diese ganze Sache so eindringlich und realistisch beschrieben wird, dass ich es fast selber fühlen konnte. Ich hätte wirklich erwartet, dass ich zwischendurch denken würde “Gott, Mädchen, reiß dich doch mal zusammen”, aber das passierte nicht. Auch wenn alles sehr dramatisch ist und einem normalen Verstand vollkommen klar ist, dass Willow nicht für den Unfall, der ihre Eltern das Leben kostete, verantwortlich ist, kann man sie irgendwie nicht verurteilen.

Ja, es ist eines der best geschrieben Bücher zum Thema SVV…
Ja, es nimmt einen richtig mit…

ABER…

Wir können uns alle denken, dass irgendwann ein junger Mann auftaucht; immerhin handelt es sich hier um ein Jugendbuch und ein Mädchen mit Problemen. Und wir können uns genauso gut denken, was zwischen ihm – in diesem Fall Guy – und Willow passiert. Und genau da liegt für mich das große Aber.
Willow und Guy lernen sich eher zufällig in der Bücherei der Universität, in der Willow arbeitet, kennen – sie muss ihm bei der Suche nach einem Buch helfen. Man versteht sich, man hat ähnliche Interessen, man mag sich irgendwie. Auch wenn Willow das an dieser Stelle noch nicht einmal annähernd zulassen kann. Und doch ist es Guy, der als erster ihr Geheimnis entdeckt, wenn auch eher unfreiwillig. Doch von da an fühlt er sich irgendwie für sie verantwortlich… was ich doch ein wenig merkwürdig fand. Ich meine, wenn ihr entdeckt, dass jemand – ein komplett Fremder wohl gemerkt – sich selbst verletzt, seine vernarbten Arme seht, würdet ihr euch an an ihn ran heften, damit ihm ja nichts passiert? Eher nicht. Hinzu kommt noch, dass er ihr vor allem immer wieder sagt, dass er da eigentlich keinen Bock drauf hat und nicht für sie verantwortlich sein will.
Guy ist alles in allem ein Charakter, der zwischen Sorge und Unverständnis hin und her gerissen ist. An vielen Stellen wollte ich ihm einfach nur mal so richtig eins in die Fresse hauen… Andauernd fragt er Willow, warum sie nicht einfach aufhört, sich zu verletzten, verlangt es sogar von ihr, und sagt ihr, dass ihre Narben hässlich sind. Ich kann vollkommen nachvollziehen, dass man als Außenstehender die Gedanken und Gefühle, die mit dieser Klinge zusammenhängen, nicht verstehen kann, aber ein wenig Einfühlungsvermögen kann man doch wohl an den Tag legen. Und in anderen Situationen kümmert er sich dann rührend um Willow, verarztet sogar einen frischen Schnitt und berührt voller Zärtlichkeit ihre Wunden. Ich kann mir gut vorstellen, dass man im Alter von 16 Jahren mit einer solchen Sache vollkommen überfordert ist, aber Guy erschien mir teilweise einfach so uneinsichtig, hart und einfach gefühlslos.

Kommen wir also zum letzten Kritikpunkt an Willow: die Beziehung zwischen den beiden.
Theoretisch hatte ich überhaupt keine Probleme mit der Entwicklung. Wie schon gesagt: wir haben hier ein Jugendbuch vor uns und da gehört es ja irgendwie zum guten Ton, dass die Liebe Einzug erhält. Und Willow hat es wirklich verdient, aber… *seufz*
Obwohl, ich glaube, ich muss etwas anders anfangen, denn im Grunde fand ich die Entstehung der Liebe okay. Es war nicht ganz so von Knall auf Fall wie man es aus anderen Romanen kennt, was ich sehr positiv fand. Auch, dass Willow am Anfang sehr gezweifelt hat und sich aufgrund ihrer tiefen Schuldgefühle gar nicht erlaubt hat, an so etwas zu denken, gefiel mir gut – weil es eben realistisch(er) ist. Dass sie irgendwann auftaut, ist nur logisch, aber wieder ist es ein Junge, der das Mädchen rettet. Ich möchte nicht bezweifeln, dass Liebe beim Überwinden einer Sucht helfen kann, aber ist eben keine Lösung!</i> Ich habe zwar schon Bücher zu dem Thema gelesen, in dem es wesentlich krasser dargestellt wurde (Mädchen trifft Junge – bums, geheilt!) – was mich dann aber auch entsprechend doll aufgeregt hat -, da bekommt Willow einen Pluspunkt, aber trotzdem ist dieser Vibe doch spürbar. Und ich möchte an dieser Stelle sagen, dass ich es vollkommen nachvollziehen kann, dass Betroffene die ganze Sache scheiße fanden, ganz ehrlich. Wenn einen dieses Problem selber betrifft, empfindet man so etwas noch einmal ganz anders… I feel with you!

Wie man sieht, hat das Buch mich ein wenig zerrissen. Auf der einen Seite hat es mich wirklich in Tränen zurück gelassen, doch im gleichen Moment klopfte eben dieses laute ARGH an. Dennoch bekommt das Buch von mir 4 Sterne, weil es alles in allem einfach sehr intensiver Stoff ist, der an einem zerrt.

Und um die Rezension mit einem positiven Statement zu schließen: das Ende des Buches hat mir unheimlich gut gefallen, denn Willow ist eben nicht geheilt, sondern sieht einfach nur eine Chance, die Klingen irgendwann hinter sich zu lassen.

 

// Schlusswort //

Willow von Julia Hoban ist ein unheimlich berührendes Buch zum Thema Selbstverletzendes Verhalten bei Jugendlichen. Auch wenn es einige Kritikpunkte gibt, so ist es für mich doch einer der besten Romane, die ich bisher über dieses Thema gelesen habe. Intensiv, weitestgehend realistisch dargestellt und alles in allem einfach gut.