Rezension

Ein Büchlein, das man am besten zweimal liest

Meinetwegen -

Meinetwegen
von Dagmar Schifferli

Bewertet mit 5 Sternen

Kurzmeinung: Das Romänchen verstellt sich!

Von diesem sehr kleinen Buch ist man am Ende erst einmal verblüfft. Was hat man da gelesen? Eine 17jährige Jugendliche, Katharina, ist in einer geschlossenen Einrichtung für Jugendliche einsässig. Es ist offensichtlich, dass Katharina eine Straftat angelastet wird. Deswegen werden Katharina Stunden beim Psychotherapeuten verordnet. Von seiner Beruteilung und Einschätzung hängt es ab, wie mit Katharina weiter verfahren wird. Katharina verweigert sich den verordneten Therapiestunden nicht, aber sie stellt Bedingungen. Sie will kein „normales Gespräch“. Sie redet nur, wenn der Therapeut sich völlig neutral verhält. 

 Der Kommentar: 
Das Konzept der Gesprächstaktik Katharinas ist interessant, sogar lustig, aber am Ende ist man verwirrt: Hat man sich jetzt von Katharina einwickeln lassen? Oder ist Katharina das Opfer einer lieblosen Umgebung? Man weiß es nicht genau. Man sollte das Buch ein zweites Mal lesen, sobald man Verdacht geschöpft hat. 

Auffällig sind die vielen Hinweise auf die 70er Jahre, die in das Selbstgespräch Katharinas einfließen, was ich zuerst für willkürlich und funktionslos halte, sozusagen eine Verlegenheit der Autorin - bis ich erfahre, dass in den 70er Jahren auf dem Gebiet der Psychotherapie/analyse sozusagen ein Erkenntnissprung stattfand. Man erkannte den Typus des Psychopathen und gab den Ärzten eine aufgrund empirischer Studien erarbeitete Checkliste zur Hand, um diesen speziellen manipulativen Charakter zu enttarnen. Das änderte meine Sichtweise auf den Roman. Es machte ihn ungleich spannender und erfordete einen zweiten Durchgang. Und plötzlich sieht man Indizien, über die man vorher hinweggelesen hat. Aber Indizien sind kein Geständnis.

Das Konzept des Romans überzeugt erst auf den zweiten Blick. Man könnte es für naiv halten. Kindlich naiv. Nett. Brav. Aber dann schlägt es voll durch und einige kleinere inhaltliche beziehungsweise stilistiische Ungeschicklichkeiten spielen keine Rolle mehr. 

Fazit: Das Büchlein ist entweder verschlagen wie der Wolf beim Rotkäppchen oder naiv und herzig. Das muss der Leser für sich entscheiden. Es  lebt ganz und gar von der Frage, ob Katharina authentisch ist oder ein manipulativer Charakter. Für beide Sichtweisen gibt es gute Argumente. 

Kategorie: Belletristik
Verlag: Nagel & Kimche, 2022