Rezension

Ein Buch für die Empfindsamen

The Invisible Life of Addie LaRue -

The Invisible Life of Addie LaRue
von V. E. Schwab

„My name is Adeline LaRue, she tells herself. My father taught me how to be a dreamer, and my mother taught me how to be a wife, and Estele taught me how to speak to gods.“ (S.82)

„My name is Adeline LaRue, she tells herself. My father taught me how to be a dreamer, and my mother taught me how to be a wife, and Estele taught me how to speak to gods.“ (S.82)

 

Dieses Buch ist ein Buch, welches mir gezeigt hat, welchen Einfluss Kunst hat und wie einschneidend und berauschend dieser Einfluss in den Herzen von Menschen wirken kann.

Dabei war dieses Buch subtil und zieht seine Stärken daraus, zwischenmenschliche Interaktionen, oder das Fehlen von diesen, zeigen zu lassen, wie wichtig es ist, etwas zu erschaffen, Sinnhaftigkeit im eigenen Leben zu finden und andere Menschen im Leben zu haben.

„The invisible life of Addie LaRue“ ist ein Roman von V. E. Schwab, wurde 2015 von Titan Books im Englischen veröffentlicht und handelt davon, welchen Preis es kostet Kunst zu schaffen oder wie geisterhaft der Kuss einer Muse sein kann.

Dabei erhalten wir Einblicke in das unsterbliche Leben der Addie LaRue und dürfen miterleben wie sie durch die Jahrhunderte streift und geisterhaft ihre Spuren hinterlässt, als würde sie mit ihren Fingerspitzen sanft über die Haut einer:s Liebhabers:in streichen und sich so durch die unterschiedlichsten Künstlern und Philosophen in der Welt verewigt. Dabei ist sie kapriziös, was ihren Charm ausmacht und ihr erlaubt leidenschaftliche Beziehungen erleben zu dürfen - man hatte immer das Gefühl als würde sie in jeder Situation die Kontrolle behalten und mit ihren Liebhabern ein liebevolles Katz und Maus spielen.

Gerade im Wechselspiel mit ihrem Gegenüber Luc sticht ihr Charakter besonders heraus, welcher genauso wie sie seine Spuren in der Welt um ihn herum hinterlässt, aber dabei einen hohen Preis für seine Geschenke verlangt. Im Gegenteil zu ihr wird er nicht durch die Liebe zu seinem Gegenüber geleitet sondern scheut sich nicht davor die Not und Verzweiflung von anderen auszunutzen.

Diese Dynamik wird durch Henry noch mal verstärkt, welcher sich danach sehnt gesehen und um seiner selbst willen geschätzt und geliebt zu werden.

Ich kann kaum beschreiben welche Gefühle dieses Buch in mir hervorgerufen hat – am ehesten könnte ich den Eindruck als „etheral“ beschreiben, denn die unterschiedlichen Szenen und Handlungen haben Spuren in mir hinterlassen, die ich selbst noch nicht einordnen kann.

In meiner Brust fühlt es sich schwer, aber auch bitter-süß an, denn ich konnte nicht anders als mit den Figuren mitzufühlen, welche nicht unbedingt komplex waren, aber dafür authentisch. Ihr Schmerz und auch ihre Liebe waren etwas in das ich mich hineinfühlen konnte, denn sie waren Erfahrungen, welche ich selbst schon erlebt habe, wenn auch auf andere Art und Weise.

Aber genau das ist was Gefühle hervorhebt – man kann das am besten an Gedichten erkennen: Je allgemeiner die Gefühle und Erfahrungen sind, welche die Gedichte darstellen wollen, desto weniger wirken sie. Aber je genauer Gedichte sind, je spezifischer die Situation ist, welche vermittelt werden soll, desto mehr stechen sie ins Herz.

Das ist nur verständlich: Man kann vieles Fühlen, es gibt tausende von Nuancen, für welche die deutsche Sprache keine Begriffe hat, aber je detaillierter etwas ist, desto eher kann man es zu ordnen und selbst auf Erfahrungen zurückgreifen, welche ähnliches in einem selbst ausgelöst haben.

Und genau das hat Schwab gemacht – sie hat sich auf zwei Sachen konzentriert: Die Angst nicht gesehen zu werden und die Angst davor nicht richtig zu leben.

Diese Genauigkeit und Empfindsamkeit wurde dadurch hervorgehoben, dass Schwab keine Zeit mit ausschweifenden Beschreibungen und rhetorischen Kunststücken verschwendet, sondern das Augenmerk gezielt auf Details lenkt. Das wird umso wichtiger, da oft Kunstobjekte, Bücher, Musik und Gedichte beschrieben und betrachtet wurden, deren Beschreibung und Erklärung sonst unübersichtlich geworden wäre. Vielmehr geisterte immer das Gefühl des Deja-vu im Hinterkopf, wenn ich diese Passagen gelesen habe, denn jede Szene und Handlung hatte etwas Sehnsüchtiges an sich, was in mir auf Resonanz gestoßen ist.

Die Beschreibungen waren nichtsdestotrotz Bildreich und gewaltig und zwangen mich dazu, mir das Beschriebene vorzustellen. Deswegen ist es umso beeindruckender, wie einfach die Sprache ist mit der geschrieben wurde und dabei trotzdem poetisch und rhythmisch wirkte.

Dabei war die Handlung rau und erbarmungslos – keine Handlung wurde beschönigt und es wurde nicht versucht einen märchenhaften Schein über das Geschehen zu werfen, um dem künstlerischen Thema zu entsprechen.

Es wurde kein Halt davor gemacht Situationen wie Prostitution, Diebstahl und Depressionen ehrlich dazustellen, aber auch Liebe und Leidenschaft wurden in allen ihren unterschiedlichen Facetten ausgekostet - mal war es sehnsüchtig und verzweifelt und an anderen Stellen liebevoll und verspielt.

Das war möglichen in dem wir die unterschiedlichen Leben und Rollen von Addie LaRue mitverfolgt durften und verschiedene Liebesbeziehungen zu den verschiedensten Menschen dargestellt wurden. Und jedes Mal, wenn ein Mensch in die Geschichte eintrat konnte ich nicht anders als mich auch immer wieder neu in jeden einzelnen zu verlieben und auch jedes Mal einen Stich in meinem Herzen zu fühlen, wenn die Zeit mit der Person vorbei war.

Als Muse für einen verspielten und romantischen indie-Musiker oder Inspirationen für eine verträumte Malerin erlebte ich die unterschiedlichen Arten von Lust und Leidenschaft mit, welche Addie erfahren durfte.

Dabei tauschten die Geschichten immer wieder zwischen Szenen aus der Vergangenheit und Gegenwart, was überraschenderweise nie den Leseflow gestört hat und mal wie ein Tropfen süßen Honig oder eine heiße Nadel in der Brust wirkte, da die Stimmungen der unterschiedlichen Abschnitte so sehr variieren konnten.

Was mich jedoch noch immer zum Nachdenken anregt ist die unerschöpfliche Liebe von Addie, welche sie trotz ihrer Niederschläge und Narben immer wieder fand und immer wieder der Welt und ihren Liebhabern entgegen streckte – ihre Liebe war aber nie selbstlos, sondern ihr Mittel sich in der Welt zu verewigen.

Und noch wichtiger: Dieses Buch weckte in mir das Bedürfnis es Addie gleich zu tun. Genauso wie sie wollte ich mit meinen Fingern über die Haut von Menschen streichen und Ideen in ihren Augen leuchten sehen, wenn sie von etwas eingenommen werden und im Moment versinken.

Und ich wollte so lieben können wie sie – ohne Angst mich selbst zu verlieren, sondern mit dem Verständnis in dem Moment mehr zu sein und in jemanden zu versinken, um die Person dann so sehen zu können, wie sie ist. Ohne Angst und ohne Schutzschild wollte ich meine eigenen Facetten zeigen dürfen und vollkommen nackt mit allen Schwächen und Geheimnissen gesehen werden.

Deswegen kann ich dieses Buch weiterempfehlen – selbst wenn man einfach nur unterhalten werden will wird diese kreative Geschichte überzeugen und spannend sein, denn die Charaktere sind liebevoll gestaltet und die kurzen Kapitel sorgen dafür, dass man nicht mehr aufhören kann zu lesen.