Rezension

Ein bemerkenswertes Dokument aus dem Hamburg des 17. Jahrhunderts

Die jüdische Kauffrau Glikl (1646 - 1724) - Inge Grolle

Die jüdische Kauffrau Glikl (1646-1724)
von Inge Grolle

Bewertet mit 5 Sternen

Ich habe das Buch im Hamburger Museum gesehen und musste es sofort kaufen.

Sowohl die Geschichte selbst als auch die Geschichte der Aufzeichnungen sind bemerkenswert.

Das Buch basiert auf der Autobiographie der Glückel, Pinkerle oder Glikl bas Judah Leib, Tochter des Judah Loeb, die zwischen 1646 und 1724 in Hamburg lebte. Das außergewöhnliche an diesem Zeitdokument ist die Tatsache, dass Frauen selten Biographien verfassten. Meistens waren sie des Lesens und Schreibens unkundig. Wenn sie aber dennoch über diese Kulturfähigkeiten verfügten, so schrieben sie allenfalls Kochbücher oder ihre Geschichten wurden niemals veröffentlicht.

Bevor Inge Grolle den ursprünglich in jiddisch geschriebenen Text bearbeiteten konnte, hatte der schon eine weite Reise hinter sich. Das Original ist verschollen. Glikls Sohn Moses hat es vorab kopiert, landete die Kopie in Budapest, danach in Wien (wo er von Berta Pappenheim auf Deutsch übersetzt wurde).

Inge Grolle hält sich ziemlich genau an das Original. Lediglich die „Gute-Nacht-Geschichten“ sind des besseren Leseflusses wegen in ein extra Kapitel zusammengefasst.

Was berichtet nun Glikl über ihr Leben? Als junges Mädchen (zwölfjährig!!) – wie üblich – mit einem weitaus älteren Mann, Chajim, verheiratet, dreht sich lange Zeit alles um die „drei berühmten Ks“ Kinder-Küche-Kirche“, wenn auch die „Kirche“ Synagoge heißt und die Reihenfolge vielleicht anders ist. Sie bringt insgesamt 14 Kinder zur Welt, die bis auf zwei überleben.

Mit Chaijm lebt sie lange glücklich und in einigem Wohlstand. Als der Ehemann stirbt, führt sie seine Geschäfte erfolgreich weiter.

Das Blatt wendet sich, als Glikl den reichen Bankier Hirsch Levy aus Metz heiratet. Der macht Bankrott und der mühsam aufgebaute Wohlstand seiner Gemahlin wird bis zum letzten Zinnlöffel zur Abdeckung der Schulden verwendet. Auch Glikls Mitgift ist verloren. Die letzten Jahre verbringt Glikl in völliger Abhängigkeit im Haus ihrer Tochter. Das ist die eigentliche Tragik der Glikl bas Judah Loeb. Sie, die immer alles daran gesetzt hat, selbstständig zu sein, ist auf das Wohlwollen anderer angewiesen.

Vieles ist über Leben und Alltag der Glikl bekannt, über ihre Gemütsregungen, Wünsche, Trauer, Enttäuschung - eine Abbildung ist nicht vorhanden.

Sie berichtet – und das ist äußerst bemerkenswert – wie eine Chronistin über alltägliche Ereignisse. Sei die Pest, die in Hamburg wütet, sei es Mordgeschichten und Aufstände.

Inge Grolle hat behutsam das Manuskript bearbeitet. Manchmal ist es nicht einfach zu lesen. Es ist aber ein bemerkenswertes Zeitdokument. Die Abbildung ist eine Verfälschung der Geschichte, da hier Berta Pappenheim in einer Kostümierung des 17. Jahrhunderts abgebildet ist.

Ich finde, dass das der Lebensgeschichte der Glikl keinen Abbruch tut. Der Leser kann sich selbst ein Bild der Kauffrau von Hamburg erschaffen.

Für Leser mit Interesse an der jüdischen Geschichte Hamburgs und interessanten Frauengestalten ein unbedingtes MUSS.