Rezension

Die Oszillationen zwischen Hoffnung, Verzweiflung und Wahn sind nicht nur für die Protagonistin, sondern auch für den Leser kaum auszuhalten, aber sie sind literarisch gekonnt in Szene gesetzt

Unvollkommene Verbindlichkeiten - Lena Andersson

Unvollkommene Verbindlichkeiten
von Lena Andersson

Bewertet mit 5 Sternen

Lena Anderson, Unvollkommene Verbindlichkeiten, Luchterhand 2017, ISBN 978-3-630-87524-8

 

Schon in ihrem Erfolgsroman „Widerrechtliche Inbesitznahme“ hat die bekannte schwedische Schriftstellerin Lena Anderson erzählt vom komplexen und tragischen Liebesleben ihrer Protagonistin Ester Nilsson, die wie ihre Schöpferin selbst als Dichterin tätig ist.  Damals verliebte sie sich in den Künstler Hugo Rask, und es brauchte lange, bis sie schmerzhaft begriff,  dass dieser Mann an einer Beziehung auf Augenhöhe gar kein Interesse hatte.

 

Nun in ihrem neuen Roman „Unvollkommene Verbindlichkeiten“ liefert Lena Anderson eine Art Fortsetzung. Nachdem sie lange brauchte, um die Geschichte mit Hugo Rask zu vergessen (sie wird in dem neuen Buch mehrfach erwähnt), verliebt sich die Dichterin Ester Nilsson erneut. Und auch wenn man das erste Buch nicht kennen sollte, fragt sich der Leser schon sehr bald, was da für Muster wirksam sind in der Partnerwahl dieser durchaus sympathischen und hochintelligenten Frau.  Denn Ester Nilsson hat offenbar aus ihren negativen Erfahrungen mit dem Künstler Hugo Rask keine Schlüsse gezogen. Wieder verliebt sie sich mit Haut und Haaren, sie scheint gar keine Selbstachtung zu kennen. Alles dreht sich um den neuen Mann, den sie sich ausgesucht hat als Objekt ihrer Liebe, die mehr und mehr zu einer Obsession wird. Der Mann ist Theaterschauspieler, also ein Künstler wie der erste. Er heißt Olof Sten und ist verheiratet. Immer wieder betont er ziemlich deutlich, dass er keine Beziehung zu Ester eingehen möchte. Dennoch, ob mit sehr langen Pausen, trifft er sich, auch intim, mit ihr und gibt so Esters völlig unverständlicher Hoffnung, die etwas Schizophrenes hat, neue Nahrung.

 

Es ist eine absolut verrückte Spannung, die Lena Anderson da aufbaut mit den genau geschilderten und in ihre Einzelheiten zerlegten Gesprächen zwischen den beiden Hauptpersonen, aber auch mit den unzähligen Gesprächen, die Ester mit ihren zahlriechen Freundinnen führt. Nähe und Distanz, Hoffnung und Verzweiflung,  Ekstase und der Wunsch zu Sterben  - die Handlung und das innere Erleben von Ester Nilsson schwankt zwischen  starken Extremen. Als Leser sieht man sich, hat man erst einmal begriffen, was da abläuft und aufgegeben es verstehen zu wollen, hineingezogen in eine seltsame Spannung und Beziehungsdialektik:

„Er wurde interessiert, wenn sie resignierte. Sie resignierte, wenn er uninteressiert war. Dann trat er einen Schritt näher, was sie dann auch tat, worauf er sie wegschob, worauf sie kühl und abweisend wurde, und das schärfte seine Aufmerksamkeit. Ein Kreislauf, dem man nicht entkam.“

 

Obwohl diese kluge und intellektuelle Frau (die Themen, die sie in ihren im Buch erwähnten Publikationen beschreibt, sind beeindruckend)es eigentlich besser wissen müsste, lässt sie mit sich spielen und ignoriert alles, um ihn weiter lieben zu können. Sie interpretiert Olofs Verhalten immer nur so, dass sie daraus Hoffnung schöpfen kann.

 

Die Oszillationen zwischen Hoffnung, Verzweiflung und Wahn sind nicht nur für die Protagonistin, sondern auch für den Leser kaum auszuhalten, aber sie sind literarisch gekonnt in Szene gesetzt.  Und man fragt sich, ob das ein eher typisch weibliches Problem ist, oder ob diese beiden Romane auch mit vertauschten Rollen hätten geschrieben werden können.

 

Ich möchte es offen und den Leser entscheiden lassen, dem ich diesen Roman, sei er Mann oder Frau, auf jeden Fall empfehlen kann.