Rezension

Der Junge im Konzentrationslager

Roman eines Schicksallosen - Imre Kertesz

Roman eines Schicksallosen
von Imre Kertesz

Bewertet mit 5 Sternen

Ein Buch, das jeder gelesen haben sollte

Wegen seiner jüdischen Abstammung wurde Imre Kertész (* 1929 + 2016) mit vierzehn Jahren aus Budapest über Ausschwitz ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Seine Odyssee dauerte von Juli 1944 bis April 1945. Im „Roman eines Schicksallosen“ schildert er seine Erlebnisse. Sein Werk erschien 1975 zum ersten Mal in Ungarn und wurde nach dem politischen Systemwechsel 1989 auch im Ausland bekannt. Heute zählt es zu den bedeutendsten Schriften über den Holocaust. Im Oktober 2002 erhielt der Autor dafür den Nobelpreis für Literatur.

Der Roman beginnt, als Gyurkas Vater ins Arbeitslager berufen wurde. Noch begreift der Junge nicht so recht, warum alle so traurig sind. Für ihn fällt wegen des Krieges die Schule aus und er freut sich darüber, als Hilfsarbeiter praktisch arbeiten zu können. Vor allem sah er die Vorteile des Passierscheins, der es ihm ermöglichte, sich trotz Judenstern frei zu bewegen. Eines Tages wird er zusammen mit anderen auf dem Weg zur Arbeit von der Gendarmerie aus einem Bus geholt. Die Unsicherheit und das große Warten beginnt...

Profan und emotionslos erzählt der Junge aus seiner Sicht über den Transport in der Eisenbahn und von der Ankunft in Auschwitz. Er beobachtet genau und entdeckt dabei die Schönheiten der Natur. Was sich bis dahin leicht las, geht plötzlich unter die Haut. Da man als Leser ja weiß, was die Menschen dort erwartete, lässt sich die „Vorfreude“ auf das Kommende kaum aushalten.

„Selbst in Auschwitz kann man sich offenbar langweilen – vorausgesetzt, man gehört zu den Privilegierten. Wir warteten und warteten – und wenn ich es recht bedenke, so warteten wir eigentlich darauf, dass nichts geschähe. Die Langeweile, zusammen mit diesem merkwürdigen Warten: das, ungefähr, dieser Eindruck, glaube ich, ja mag in Wirklichkeit Auschwitz bedeuten – zumindest in meinen Augen.“ (Seite 134)

Von dort ging es nach Buchenwald und ins Außenlager nach Zeitz, wo er anfangs voller Elan die Schaufel in die Hand nimmt und zeigt, was in ihm steckt. Bis der Hunger ihn schwächt und er lebensbedrohlich erkrankt. Mit wie viel Empathie er diese Phase seines Lebens beschreibt, ist äußerst beeindruckend.

„Ein bisschen möchte ich noch leben in diesem schönen Konzentrationslager“ (Seite 209)

 

Lange habe ich mich geweigert, dieses Buch zur Hand zu nehmen. Mir graute vor dem, was mich erwartet. Es war nicht leicht, sich darauf einzulassen. Doch durch diese kindliche Sicht auf die Dinge, durch dieses Nichtinfragestellen der Gegebenheiten, wurde das Grauen erträglich. Nicht umsonst schreibt der Autor zum Ende des Buches, als er schon wieder in Budapest angekommen war:

„Wenn man die eine Stufe hinter sich gebracht hat, sie hinter sich weiß, kommt bereits die nächste. Wenn man dann alles weiß, hat man auch alles bereits begriffen. Und indes man alles begreift, bleibt man ja nicht untätig: schon erledigt man die neuen Dinge, man lebt, man handelt, man bewegt sich, erfüllt die immer neuen Forderungen einer jeden neuen Stufe. Gäbe es jedoch diese Abfolge in der Zeit nicht und würde sich das ganze Wissen gleich dort auf der Stelle über uns ergießen, so hielte es unser Kopf vielleicht gar nicht aus, und auch unser Herz nicht.“ (Seite 272)

 

Fazit: Ein Buch, das jeder gelesen haben sollte.