Rezension

Ausgezeichnet mit dem Hamburger Förderpreis 2018.

Das eiserne Herz des Charlie Berg - Sebastian Stuertz

Das eiserne Herz des Charlie Berg
von Sebastian Stuertz

Bewertet mit 5 Sternen

Im Leben geht es um die Liebe, Musik, Parfums und Hirschgulasch mit Tradition nach Omas Rezept. Die Pistole ist verboten. Das ist die Geschichte von Abiturient Charlie, der doch nur abhauen will zum Zivildienst auf die einsame Vogelwarte, aber seine chaotische Familiengeschichte steht im Weg. Sie fesselt den Leser durch einen frivol kalkulierten Thrill an die zutiefst introvertierte Erzählung eines vom Schmerz verschnürten Überlebens. Kein Plot, ein Zustand. Charlie Berg selbst ist ein Wunderkind, hat ein schwaches Herz und die feine Nase eines Hundes. Das einzige, was ihn seine Eltern gelehrt haben: Zwei Künstler sollten nie Kinder bekommen! Es sind die frühen 90er, Charlie will ausziehen, nicht mehr der Depp der Familie sein, der alles zusammenhält, während Mutter am Theater die Welt verstört und Vater wochenlang bekifft im Aufnahmestudio sitzt. Charlie möchte seinen Zivildienst antreten und einen Roman schreiben. Doch er ist nicht nur mit einem überirdischen Geruchsinn gesegnet, sondern auch mit einem Clan, der dem schrägen Ensemble einer Erfolgsserie gleicht. Die Zivistelle im Leuchtturm ist zum Greifen nah – da läuft alles aus dem Ruder: Auf der Jagd mit Opa trifft ein Schuss nicht nur den Hirsch, sondern auch Opa. Und Charlies heimliche große Liebe Mayra, seine Videobrieffreundin aus Mexiko? Hat nichts Besseres zu tun als den Ganoven Ramón zu heiraten … Das Debüt beginnt mit einem fulminanten Jagdunfall und hat auch sonst alles zu bieten, was ein Bestseller ausmacht. Die Geschichte liest sich am Anfang wie ein spannend geschriebener, gut recherchierter, mit viel Wortwitz ausgestatteter Krimi. Auf keinen Fall blutrünstig. Eine schräge Mischung, ein Haufen skurriler Gestalten, eine Coming of Age Geschichte und spannend wie ein Krimi. Ein prima Lesevergnügen, in dem nicht nur das erfrischend schieflaufende Schicksal des Helden amüsiert. Mich überzeugt der Roman neben der Handlung mit seinem prägenden Schreibstil und seiner starken Erzählerweise. Man möchte immerzu weiter und weiterlesen, und ist traurig, wenn man die letzte Seite umgeblättert hat! Herzerfrischend unmännlich! Treffer, unbedingt lesen! Ein literarisch derbes Lesevergnügen, atmosphärisch tiefsinnig.