Rezension

Auf welcher Seite stehst du?

Das ferne Feuer -

Das ferne Feuer
von Amy Waldman

Bewertet mit 5 Sternen

Dr. Gideon Crane hat einen Bestseller geschrieben. „Mutter Afghanistan“ heißt sein Werk. Es behandelt nicht nur seine Lebensgeschichte, sondern vor allem seinen unermüdlichen Einsatz für die medizinische Versorgung der Frauen in Afghanistan. Einer Frau, die bei einer schwierigen Geburt verstarb, widmete er eine Klinik im afghanischen Nirgendwo – Fereschtas Klinik.

Parvin Schams war ein Jahr alt, als sie mit ihren Eltern aus Afghanistan in die USA emigrierte. Als die engagierte und idealistische Studentin der Medizinanthropologie auf Dr. Gideons Buch stößt, besinnt sie sich ihrer Wurzeln und will vor Ort in Fereschtas Dorf für Cranes Stiftung arbeiten. Doch bald erkennt Parvin, dass die Realität ganz anders aussieht. Die von Spenden errichtete Klinik steht leer und die von Dr. Gideon erzählten Geschichten entsprechen nicht der Wahrheit.

Die amerikanische Schriftstellerin Amy Waldman zeigt in ihrem Roman „Das ferne Feuer“ Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Die Protagonistin Parvin ist begeisterungsfähig, idealistisch bis zur Gutgläubigkeit. Sie will etwas verändern und hinterfragt nicht, was ihr von Dr. Gideon in dessen Buch vorgesetzt wurde. Das Leben in dem afghanischen Dorf ist geprägt von Armut und einer archaisch patriarchalen Struktur. Die Not und medizinische Unterversorgung sind evident. Die Klinik jedoch, Aushängeschild humanitärer Hilfe und Rechtfertigung für militärische Intervention, ist ein Potemkin’sches Dorf.

„Der Krieg war gekommen, um zu bleiben.“

Mit dem Interesse einer wohlmeinenden Gesellschaft im Überfluss, manipuliert von Medien und Propagandaauftritten, wächst auch die Militärpräsenz im Dorf und damit der Widerstand Aufständischer.

Parvin nimmt in der streng getrennten Welt von Frauen und Männern, aber auch zwischen der afghanischen Dorfbevölkerung und dem amerikanischen Militär einen Sonderrolle ein:

„So wie sie einem „dritten Geschlecht“ angehöre – den üblichen Regeln hier nicht unterworfen - gehöre sie auch einer „dritten Nation“ an, weder Amerikanerin noch Afghanin.“

Auf welcher Seite sie steht ist nicht leicht für Parvin zu entscheiden. Denn diese Geschichte hat viele Seiten. Amy Waldman zeigt uns auf großartige Weise die vielfältigen moralischen Dilemmata, das Aufeinanderprallen von Ideologien, welche Macht geschickte Manipulatoren haben. Auf Dari, der afghanischen Sprache gibt es nur ein Wort für erzählen und lügen. Das Buch im Buch und dessen Autor wird demontiert und damit auch die US-amerikanische Militärpolitik.

Das ferne Feuer bringt uns ein Land näher, das jahrzehntelang in der Maschinerie des Krieges aufgerieben wurde. Es birgt enormes Konfliktpotenzial und wird mir noch lange nachwirken.