Rezension

Alles wird gut, wenn der Autor die Verquasung hinter sich lässt.

Prana Extrem
von Joshua Gross

Bewertet mit 2 Sternen

Ich hatte ein grauenhaftes Allegro-Pastell-Déjà-vu.

Das Feuilleton liebt diese Bücher – ob „Allegro Pastell“ von Leif Randt oder „Flexen in Miami von Joshua Groß oder eben dessen neues: „Prana Extrem“. Ich mag sie nicht – bin ich zu alt? Warum eigentlich nicht?

Mich stören Handlungsarmut, Sprache und Oberflächenkult. Wie ist es hier?

Joshua Groß lässt das Schriftstellerpaar Joshua und Lisa einen sehr heißen, klimagewandelten Sommer in den Alpen bei Johanna und ihrem Skispringerbruder verbringen, wo sie zwischen riesigen Libellen und einer Mattenschanze ohne Schnee zueinander finden und ihr Prana aufpusten (also ihr Lebensgefühl nach hinduistischer Lesart). Dass Joshua Groß‘ Lebensgefährtin im echten Leben auch Lisa heißt und wir hier womöglich in eine weitere Ausgabe der Autofiktionsmasche fliegen, verneint er zwar in seinem Interview mit Denis Scheck, um dann aber doch zuzugeben, dass er beim Figurenerfinden einfach bei sich anfängt. Also doch Biographisches im Fiktionalen. Im ganzen Roman passiert nicht viel: Michael übt, hat einen Vaterkonflikt, übt weiter, Joshua und Lisa ziehen ins Tal, machen ihr Ding oder bei den anderen mit, irgendwann stoßen Joshuas Großmutter Suzet hinzu und später noch kurz Tilde, das Kind. Schon hier merke ich an, dass mit dem Eintreten Suzets in die Geschichte Leben in das Buch kommt. Ist sie frei erfunden oder auf der Basis von Groß‘ echter Großmutter? Sie wirkt jedenfalls weniger künstlich als die anderen Figuren, obwohl sie als scheinbar sagenhaft reiche Jetsetoma eigentlich unglaubwürdig ist - oder eben am ehesten eine Romanfigur. In diesem zweiten Drittel wird der Konflikt zwischen Michael und seinem Vater in Sachen Skisprungkarriere entwickelt – und zwar nicht durch pure Behauptung, sondern durch Handlung. Michaels Vater als Störfaktor auch im Sommertal lässt die Oberfläche kräuseln und bringt zusammen mit der Oma Bewegung, die man angesichts des statischen Aufbaus des Romans sehr genießt. Statisch etwa sind alle Hinweise auf die ungewöhnlich heiße Außentemperatur, womit der Klimawandel motivisch präsent ist. Wichtig ist er nicht – er gehört nur offenbar einfach dazu, wenn man als junger Mensch einen modernen Roman schreibt, in den neben den Klimawandel auch die Gendergerechtigkeit gehört. Sind aber nicht Thema, werden also unaufgeregt an den Rand gestellt und bilden die Kulisse. Soviel zur Handlungsarmut, die sich im zweiten Drittel bessert und sogar in einer Geschichte mündet, die sich zum Nacherzählen eignet.

Die Sprache ist viel problematischer, weil sie maniriert und künstlich wirkt, also so, als habe der Autor viel Zeit darauf verwendet zu formulieren, es aber am End e nicht gekonnt. Die vielen Anglizismen authentisieren die Gegenwartssprache, stören bisweilen sogar. Mehr nervt der erzwungene Bedeutungsbalast, den Groß seiner Figur in den Kopf legt – ob nun am hang über Innsbruck, im naturwarmen Quell oder beim Geburtstagstrip im Nürnberger Reichsforst. Immer hat man das Gefühl, dem vor Verblüffung ausrastenden Teenager bei der Entdeckung bahnbrechender Neuigkeiten zusehen zu müssen, etwa der ersten Erektion, dem ersten weißen Haar auf dem eigenen Kopf oder der Entdeckung, dass Toastbrote wirklich auf die Marmeladenseite fallen (die Beispiele sind alle von mir und nicht aus dem Text). Ja, irgendwann macht man alles zum ersten Mal. Das ist toll. Aber im Roman ist das schon oft verhandelt worden – da muss schon mehr her als die Erstverblüffung des Bergtouristen vor der Ewigkeit der Gipfel. Dazu passt, dass der vorkenntnislose Mensch sich auch um anderen Konventionen nicht schert, sondern sich zum Beispiel überall einfach hinsetzt auch in der Ausstellung, da er sich selbst stets das einzige Bezugssystem ist (S. 62). Das Bedeutungsgeseiere wird kontrastiert mit banalster Alltagserfahrung: Brit im Salat ist „supercrispy“ (S. 19), „Präinkorporierung“ vorgefertigter Sehnsüchte gleiten über „Ingrimm“ und „Verzweiflung“, bis man die „verf*ckten Fatalismen […] rausexorzieren“ kann (S. 25). Wenn das nicht eine höchst artifizielle, auf den Effekt abzielende Verquasung ist, dann vielleicht „wir luxurieren beide als zwei“ (S. 14) oder „Ihr ontologisches Befinden vaporisiert sich gewissermaßen aus dem Universum heraus“ (S. 15) oder „jeder einzelne Biss manifestierte sich ein Stück weit mit“ (S. 19) oder dass jedes Getränk „reingeballert“ wird oder „Die Verabschiedung zwischen mir und Jasper ging wie meistens förmlich vonstatten, oder fast beiläufig, flüchtig“ (S. 127) – ja was denn nun? Förmlich oder beiläufig? „Gewissermaßen“ und „ein Stück weit“ sind abwiegelnde Einschübe, die zudem nahelegen, dass sich der Autor selbst nicht ganz über den Weg traut mit seinen Behauptungen.

Ergänzt werden die Neologismen, die mal mehr, mal weniger gelungen rüberkommen, mit zahlreichen Zitaten aus der psychedelischen Weltliteratur, Twin Peaks“ eingeschlossen. Die regelmäßige Wiederkehr der intertextuellen Krücke ließ mir den Verdacht aufkommen, Joshua Groß habe keine eigenen Gedanken und müsse sich deshalb bei anderen bedienen.

Und dann – keine Zitate mehr, kaum noch krude Formulierungen, einfach nur eine durchkonstruierte, lesbare Geschichte ab dem zweiten Drittel. Hat der Autor am Anfang so viel gefeilt und nachher dazu weder Zeit noch Lust gehabt? Oder hat er über die ganzen Zitateklippen und Satzknackse kraxeln müssen, um endlich in den Erzählflow zu kommen? Es ist jedenfalls auffällig, wie viel besser der Roman als Roman funktioniert, wenn Groß das essayistische Bedeutungsgeplapper hinter sich gelassen hat. Die Bezüge zur Science-Fiction-Autorin Gertrude Rhoxus entspringen ganz der Phantasie des Autors und passen besser ins System. 

Zum oben kritisierten Trikolon gehört der Oberflächenkult. In „Prana Extrem“ sind es die „supercrispy Croutons im Salat oder die Zahnarztgespräche im Pool. „Ich habe eine Schwäche dafür, wenn in komplett alltäglichen Situationen plötzlich so eine maßlose Übertriebenheit zutage tritt.“ (S. 75) Ja, leider. Denn wenn die übertriebene Alltäglichkeit sich keiner tieferen Bedeutung aufschließt, ist sie redundant, Selbstzweck und öde. Mag es in „American Psycho“ ironisches Stilmittel und Herzstück der Kritik gewesen sein, so laberte die Oberflächlichkeit mich in „Allegro Pastell“ einfach nur nervtötend an. In „Prana Extrem“ sah es zunächst auch danach aus – bis sich die vielen Bemerkungen zur Skin-Care-Routine, den Hautrötungen und den anderen dermatologischen Reizungen verdichten und darauf hinweisen, wie hier körperliche Oberfläche und inneres Selbst im Wechselspiel stehen. Freilich erst ab dem zweiten Drittel. 

Am Ende habe ich den Roman mit seinen oft mutigen, nicht immer gelungenen Wortschöpfungen, den bisweilen gelungenen Szenen und Bildern gern gelesen, fand bei weitem nicht alles so lustig und witzig wie das Feuilleton (wohl aber Suzets Postkarten, S. 138-141!) und mag die Idee des Autors, einmal vom Gelingen einer Beziehung zu schreiben, nicht vom Scheitern.

Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2023.