Buch

Was.Wir.Wissen.

von Benjamin von Stuckrad-Barre

Alles kann man nicht wissen. Das weiß jeder. Bis immerhin Goethe (+1832) war das Weltwissen noch so überschaubar, dass man es sich komplett aneignen konnte - angeblich. Heute weiß man mehr und keiner mehr alles. Doch was man wenigstens wissen sollte, wird gern und häufig diskutiert und tabellarisch daherbehauptet. Allgemeinbildung! Sollte man haben. Überhaupt: das Wissen eines jeden wächst natürlich von Geburt bis Tod. Man lernt dazu - und wozu genau? Zum schon Gewussten, Abgenickten, Bewiesenen. Und wofür, das weiß man ja auch, nämlich nicht für die Schule. Sad vitae, traurige Lebensläufe. Ein Witz, ein Fehler? Vielleicht auch ein Filmtitel. Mal nachgucken - und schon ist man drin. Das ideale Medium, Wissen zu archivieren, zu verbreite(r)n, stetig, vertieft zu verknüpfen, ist mit dem Internet gefunden. Finden kann man dort alles, nur verliert man sich (tatsächlich und wortwörtlich alles Mögliche findend) bei der Suche gern einmal. Was es alles gibt, staunt man, und ist so ratlos wie fasziniert. Es gibt nichts, was es nicht gibt, heißt es im so genannten Volksmund. Dieser wird gemeinhin als Urheber und Benutzer solcher Weisheiten, Bezeichnungen und Redewendungen identifiziert, deren Gebrauch zum Brauch geworden ist. In diesen Prozess von Sprach- und Wissensentwicklung ermöglicht das Internet frühzeitig Einblick und Teilnahme. Jeder darf mitdefinieren. Und die relative Gleichförmigkeit von Präsentation, Zugänglichkeit und Ausschilderung von Quellen sehr unterschiedlicher Qualität spiegelt und potenziert die Verwirrung. An Wegweisern, Empfehlungen, Leitplanken und Abholungsangeboten mangelt es so wenig wie an Warnungen, Abschreckungen und Alternativen. Pisa usw.? Eher Babel und so www. Es wird Zeit, diesem Maul mal aufs Volk zu schauen. Was wir wissen sollen, wissen viele recht genau. Deshalb wird es einem auch dauernd einkaufszettelartig zusammengefasst. Aristoteles, Humboldt, Mozart, Einstein, Billy Wilder - kann man nichts gegen sagen. Sie zu kennen schadet gewiss nicht, aber der Charakter eines Schülers zeigt und formt sich daran, was er in der Pause macht. In diesem Buch geht es nicht um die so genannte Allgemeinbildung, sondern um die allgemeine Bildung, das tatsächlich Gewusste. Natürlich nur um einen Ausschnitt daraus. Das ist ja das Schöne am Buch, die Hinsicht, in der es dem Internet überlegen ist. Dass es ein Ende hat. Um das Gewusste zu zeigen, kann man nicht alle fragen. Ein repräsentativer Anblick des Wissens ist aber zugänglich durch die Phrasen, in denen es auftritt. Phrasen deshalb, weil sie Schlüssel sind zu den unterschiedlichsten Menschen, Orten und Bedingungen. "Die Phrase und die Sache sind eins", hat Karl Kraus gesagt, behauptet das Internet. Was weiß ich? Dies zum Beispiel: Das Wort "wissen" geht zurück auf die indoeuropäische Wurzel ueid (gesehen, erkundet haben). Das habe ich gelesen. Im Internet. Das weiß ich jetzt.

Benjamin von Stuckrad-Barre

Weitere Infos

Art:
Hardcover
Genre:
Romane und Erzählungen
Umfang:
272 Seiten
ISBN:
9783498063863
Verlag:
Rowohlt, Reinbek
6
Eigene Bewertung: Keine
Durchschnitt: 3 (1 Bewertung)

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