Rezension

Dauererregung und Polarisierung sind eine Gefahr für unsere Demokratie und gehen damit uns alle etwas an

Heult leise, Habibis -

Heult leise, Habibis
von Sineb El Masrar

Bewertet mit 2.5 Sternen

In diesem eher schmalen Essay zeigt Sineb El Masrar auf, wie eine gesellschaftliche Dynamik entstanden ist, in der die Extrovertierten und Lauten immer lauter werden und damit vernünftigen, ausgewogene Stimmen in den Hintergrund geraten und so letztlich auch in den Debatten um die Zukunft unserer Demokratie fehlen. Die Autorin liefert interessante Denkanstöße und sensibilisiert für gesellschaftliche und diskursive Dynamiken, die letztlich unsere Demokratie bedrohen können. Der Schreibstil ist eingängig und leicht zu folgen.

 

Was mich nicht überzeugt hat, ist das fast vollständige Ausblenden struktureller Faktoren in der Analyse bei gleichzeitiger Überbetonung diskursiver und psychoanalytischer Elemente, die vermeintlich monokausal zu bestimmten gesellschaftlichen Konsequenzen führen. So wird beispielsweise der NSU als Folge der von der Autorin beschriebenen kommunikativen Dynamik genannt. Hier bedient die Autorin sich ähnlicher Werkzeuge, die sie an anderer Stelle kritisiert. Während sie Ideologisierung und Polarisierung über weite Strecken sehr gut und nachvollziehbar als problematisch herausarbeitet, zur besonnenen Reflexion aufruft, verfällt die Schrift selbst im Verlauf in den Dienst der Proklamation sehr einseitiger Positionen der Autorin und der Überlegenheit eines wirtschaftsliberalen Konservatismus.

 

Insbesondere in der zweiten Hälfte verliert das Buch damit für mich an Stärke. Dieser Eindruck wird zusätzlich dadurch verfestigt, dass zunehmend einige Gedankengänge und Argumente in sich inkonsistent, eindimensional und auch redundant sind, andere scheinen wiederum selbst einer Aufmerksamkeitslogik zu folgen, wie wenn die Autorin unter Orgasmische Polarisierung die Sexualisierung von Polarisierung ausführt. Von einem soziologisch und sozialpsychologisch geschulten Lektorat hätte die Schrift sicher profitiert, insbesondere mit Blick auf die einschlägigen theoretischen Grundlagen zu sozialer Identität und Intergruppenkonflikten.

 

Einer starken ersten Hälfte, die viele wichtige Denkanstöße liefert und mit einer erfrischend ausgewogenen Analyse und Betrachtung überzeugt, steht so ein deutlich schwächerer zweiter Teil gegenüber, in dem die Autorin in der Umsetzung dem eigenen, zuvor formulierten Anspruch leider nicht gerecht werden kann. Das Ziel der Schrift bleibt damit letztlich unklar.