Rezension

Zu viel Lovestory und zu wenig Magie...

Vergissmeinnicht - Was man bei Licht nicht sehen kann
von Kerstin Gier

Bewertet mit 3.5 Sternen

Für meinen Geschmack zu viel Lovestory und zu wenig Magie, und die Spannung blieb über weite Phasen auch auf der Strecke...

Quinn ist cool, smart und beliebt. Matilda entstammt der verhassten Nachbarsfamilie, hat eine Vorliebe für Fantasyromane und ist definitiv nicht sein Typ. Doch als Quinn eines Nachts von gruseligen Wesen verfolgt und schwer verletzt wird, sieht er Dinge, die nicht von dieser Welt sein können. Nur – wem kann man sich anvertrauen, wenn Statuen plötzlich in schlechten Reimen sprechen und Skelettschädel einem vertraulich zugrinsen? Am besten dem Mädchen von gegenüber, das einem total egal ist. Dass er und Matilda in ein magisches Abenteuer voller Gefahren katapultiert werden, war von Quinn so allerdings nicht geplant. Und noch viel weniger, sich unsterblich zu verlieben… (Klappentext)

 

Erster Satz: "Einen Gin Tonic - nein, zwei, bitte!"

 

Diesen Satz äußert Quinn auf der Geburtstagsparty seines besten Freundes - kurz bevor die Situation zu eskalieren beginnt. Ein Mädchen mit blauen Haaren spricht ihn an, und kurz darauf befindet sich Quinn in einem beginnenden Albtraum. Der mit einem Unfall endet, gefolgt von langen Wochen auf der Intensivstation...

Quinn, gutaussehend, sportlich, immer für Blödsinn zu haben, findet sich plötzlich in einem Rollstuhl wieder, nicht wissend, ob er eines Tages wieder selbständig laufen können wird. Seine Mutter engagiert das Mädchen von gegenüber, um Quinn zur Physiotherapie zu begleiten und ihm auch ansonsten Gesellschaft zu leisten. Ausgerechnet die!

Matilda gehört nämlich zur streng-christlichen und moralinsauren Familie Martin, was für Quinn bisher allenfalls ein Anlass für bösen Spott und Hohn war, nicht jedoch ein Ansporn für eine Kontaktaufnahme. Und nun kommt ein Spross der Familie tatsächlich regelmäßig zu ihm! Nur dass sich herausstellt, dass Matilda gar nicht so schlimm ist wie befürchtet, ganz im Gegenteil.

Matilda entpuppt sich als ein pfiffiges und mutiges Mädchen, das auch nicht davor zurückschreckt, außergewöhnliche Orte aufzusuchen und dort Schmiere zu stehen. Das nämlich erweist sich als notwendig, als klar wird, dass Quinn in ein ungewöhnliches Abenteuer verstrickt ist. Ein magisches Abenteuer noch dazu... 

 

"Die Laternen, die den Hauptweg erleuchteten, waren schon seit Stunden ausgeschaltet, doch so dunkel, wie man denkt, ist die Nacht gar nicht, das kommt einem immer nur so vor, wenn man aus dem Hellen kommt. Sobald sich die Augen erst mal an die Dunkelheit gewöhnt haben, findet man sich ganz gut zurecht. Es gibt sogar eine Menge Dinge, die man überhaupt erst sehen kann, wenn es dunkel ist. Alles Geheimnisvolle, zum Beispiel." (S. 158)

 

Mehr möchte ich zum Inhalt an dieser Stelle nicht verraten, weil ich ansonsten spoilern würde. Die Parallelwelt sollten zukünftige Leser:innen schon selbst entdecken. Allerdings muss ich dazu sagen, dass mir diese insgesamt in diesem ersten Band der neuen Trilogie von Kerstin Gier tatsächlich auch zu kurz kam. Die sich entwickelnde Lovestory dominierte für mein Empfinden doch deutlich - für mich hätte sich diese Entwicklung ruhig bis Band drei ziehen können.

Die Art der Informationsvermittlung über die Parallelwelt wirkte auf mich zudem auch sehr bruchstückhaft - die Informationsbrocken, die Quinn so erhält, werden nicht wohldosiert verabreicht, nachdem er sich vielleicht erst einmal an die Parallelwelt gewöhnen konnte, sondern vereinzelt mitgeteilt, wenn es die Situation denn zulässt, und danach hat man erst einmal keine Zeit mehr für ihn. Ein wenig als würde man in eine magische Glaskugel schauen: sehr nebulös das Ganze, einzelne Details werden kurz sichtbar und verschwinden dann wieder im Dunst. Eine Orientierung ist im Grunde nicht möglich. Die wäre aber unbedingt nötig, da Quinn offensichtlich sehr bald schon weitreichende Entscheidungen treffen muss, was er so aber definitiv nicht kann.

Der Beginn des Romans gestaltete sich zügig, spannend und actionreich, was mich positiv überrascht hat. Danach jedoch wurde deutlich auf die Bremse getreten, und über weite Strecken des Mittelteils plätscherte die Handlung für mein Empfinden doch ziemlich vor sich hin. Am Ende dann gab es noch eine actionreiche Überraschung, was die fehlende Spannung davor jedoch für mich auch nicht mehr so recht wettmachen konnte. 

Kerstin Gier hat hier nichts Neues erfunden. Die Lovestory entwickelt sich recht vorhersehbar, die Charaktere sind größtenteils ziemlich klischeehaft gezeichnet, wobei ich allerdings hinzufügen muss, dass es schwer ist zuzuordnen, wer tatsächlich zu den "Guten" und wer zu den "Schlechten" gehört - ja, überhaupt zu diesem Zeitpunkt schon zu entscheiden, was denn "gut" oder "böse" sein soll. Dafür ist einfach noch viel zu wenig bekannt über die Parallelwelt.

Und auch die Parallelwelt selbst und Quinns Aufgabe darin - Anleihen an andere Romane von Kerstin Gier oder auch an  bekannte Fantasy-Romane anderer Autoren:innen sind wohl nicht von der Hand zu weisen. Dennoch bleibt die Neugierde, was sich da letztendlich entpuppen wird. 

Positiv hervorzuheben sind hier der lockere Schreibstil, die unterhaltsamen Dialoge, der Humor, der immer wieder aufblitzt, und der stetige Wechsel der Ich-Perspektiven von Quinn und Matilda. Gerade dadurch werden die Gedanken und Gefühle beider Hauptcharaktere gut transportiert, was hilfreich ist, um einzelne Handlungen der beiden nachvollziehen zu können.

Hervorheben möchte ich ausnahmsweise auch die wirklich liebevolle Gestaltung des Romans. Die Covergestaltung ist ebenso ein Eyecatcher wie die Farbexplosion, wenn man das Buch aufschlägt. Der Buchschnitt ist in einem schönen Blau gehalten, und die einzelnen Kapitel sind mit einem hübsch ausgestalteten "Q" bzw. "M" überschrieben. Hier passt das Äußere wirklich gut zum Inhalt, definitiv ein Pluspunkt.

Alles in allem war dieser erste Band der neuen Trilogie von Kerstin Gier für mich ein solider Einstieg, der jedoch die ausgewogene Balance von Lovestory und Fantasy/Magie vermissen ließ und sich zudem phasenweise langatmig las. Neugierig bin ich natürlich trotzdem darauf, wie es wohl weitergehen mag...

 

© Parden