Rezension

Young Adult Fantasy wie sie heutzutage sein muss

Vergissmeinnicht - Was man bei Licht nicht sehen kann
von Kerstin Gier

Beim Lesen von Kerstin Giers neuem Roman 'Vergissmeinnicht - Was man bei Licht nicht sehen kann' habe ich mich ungefähr so gefühlt wie damals, als ich als Teenagerin mit Wolfgang und Heike Hohlbein die Welt der 'phantastischen Erzählungen' entdeckte, die mich für Jahre fesseln sollte. Und ich hoffe (und glaube), dass es Jugendlichen heute mit dem rezensierten Buch genauso geht.

Der Auftakt der neuen Fantasy-Trilogie aus dem Hause Gier hat alles, was ein Fantasyroman für Heranwachsende haben muss: Spannung, Action, Mystik, Romantik und - was früher vielleicht noch nicht sooo wichtig war, heute aber umso mehr - Witz. Kerstin Gier schreibt in der Stimme der heutigen Jugend (erlaube ich mir zu behaupten) und ihre Story spielt in der heutigen Welt. Smartphones, instagram, Parcour-Sport - natürlich gibt es in den 'alten' Hohlbein-Geschichten von all dem nichtmal eine Idee. Aber wenn ein Autor junge Leser begeistern will, muss er sie nun mal in ihrer Welt abholen - um sie in andere zu entführen. Und deshalb ist es ok, dass Kerstin Gier das Rad mit ihrer Story nicht neu erfindet. 

Zwei Jugendliche, die entdecken, dass es eine 'versteckte' magische Welt mit gefährlichen und zauberhaften Wesen gibt, und denen eröffnet wird, dass einer von ihnen nicht nur zu dieser Welt gehört, sondern im Zentrum einer Prophezeiung steht, in der es um nicht weniger als das Ende der Welt geht. Und die, trotz anfänglicher Feindseligkeit, die Liebe zueinander entdecken, während sie um ihre Leben bangen. Diese Inhaltsangabe könnte so oder ähnlich auf viele, viele Bücher zutreffen. Auch auf Vergissmeinnicht. Hier sind es Quinn und Matilda, die plötzlich in einen Kampf magischer Lager hineingezogen werden und erst noch herausfinden müssen, auf wessen Seite sie stehen. 

Da es sich bei 'Was man bei Licht nicht sehen kann' um den Auftakt einer Trilogie handelt, werden keine bis wenige aufgeworfene Fragen der Geschichte schon beantwortet. Auch, was einem der Titel des Buches sagen soll, bleibt ohne Indiz. Das war damals bei den Hohlbein Büchern besser: ein Buch, eine Geschichte. Hier wird die Leserschaft wieder angefixt, um das dreifache an Umsatz zu machen, aber darauf will ich diesmal nicht rumreiten. Trotz offener Fragen ist das Leseerlebnis relativ befriedigend, die Protagonisten schmachten sich nicht bändelang an - sie haben sich bereits gefunden und auch schon ihre erste Krise hinter sich. Zum Schluss gibt es eine actionreichen Kampfszene, die durchaus eine Pause zum Atemholen rechtfertigen kann. Es ist also zumindest nicht nur eine langgezogene Einleitung, wie oft andere Startbände von mehrbändigen Reihen, sondern es ist tatsächlich auch schon ein bisschen was passiert. Es bleibt allerdings auch noch so einiges offen: die bisherigen Ausflüge in die magische Welt blieben relativ unspektakulär und müssen mehr bieten können, und ob Matilda Quinn wirklich nie wird in diese Welt folgen können, wundert man sich ebenfalls. Was es mit den magischen Tattoowesen auf sich hat, die jeder 'Saumbewohner' hat, könnte noch gut werden (zumindest hoffe ich das sehr!) und wer von den ganzen magischen Leuten jetzt gut und wer böse ist, das muss sich noch klären. 

Unabhängig von diesen 'strukturellen' Betrachtungen schreibt Gier in einem flotten Tonfall, mit Ironie und Witz - und offensichtlich einigen Querverweisen, wenn man ihre anderen Bücher kennt - und zeichnet liebenswerte, sympathische, aber auch kritisierbare Charaktere, mit denen man sich fast durch die Bank weg (zumindest zeitweise) identifizieren kann. Das sorgt dafür, dass man sich in dem Buch bzw. der Geschichte 'Zuhause' fühlt und mit den Protagonisten mitfiebert. Eine Lesereise, die nicht schnell genug gehen kann, dann aber viel zu schnell zu Ende ist. 

Die Buchgestaltung ist schlicht ein Augenschmaus. So muss ein Buch sein, dass junge Menschen zu Leser/innen macht.