Rezension

Wundervoll!

Das Geheimnis der Lady Audley - Mary Elizabeth Braddon

Das Geheimnis der Lady Audley
von Mary Elizabeth Braddon

Der Inhalt
Die neue Lady Audley hütet ein finsteres Geheimnis.

Der historische Hintergrund
Was mich von Anfang an für dieses Buch begeistert hat, war die Tatsache, dass es sich um den allerersten britischen Krimi handelt und so etwas wie ein Bestseller war. D.H. sehr viele Menschen haben dieses Buch, das 1862 erschien, geradezu verschlungen, weiterempfohlen und geliebt. Bei all dem, was heutzutage an Krimis angeboten wird (und Thriller kann man gleich dazurechnen), es hat genau hier seinen Ursprung!

Der Stil
Ich weiß nicht, inwieweit Anja Marschall hier eingewirkt hat, mich überzeugt jedoch der Stil als solcher, weil ich ihn passend für die viktorianische Zeit empfinde. Es ist eine Menge schwülstiges Zeug zu lesen, und auch, wenn es nur um Beschreibung eines Hauses geht. Aber es liest sich gut und flüssig. Und es erhöht fühlbar das Niveau der eigenen Gedanken.

Die Protagonisten
Mary Elizabeth Braddon hat einen derartig liebevoll-ironischen Blick auf ihre 'Gestalten', dass ich sofort ein Bild von Allen im Kopf hatte. Und teilweise laut auflachen musste. Robert ist dabei mein absoluter Favourit, erkenne ich in ihm doch einen 'Sherlock Holmes' und einen 'Columbo'. Alle anderen erinnern mich sehr an Figuren von Jane Austen, die natürlich früher lebte und schrieb. Daher sollte ich wohl besser auf Charles Dickens verweisen. Ja, das kommt besser hin, obwohl hier das schwülstig-romantische fehlt. Am besten eine Mischung aus beiden!?

Meine Meinung
Nach heutigen Gesichtspunkten ist dieser Krimi natürlich zu einfach zu lösen, zu schwülstig geschrieben und hat wenig Spannungselemente.
Aber wer sich die Mühe macht, sich in die Zeit von 1862 hineinzuversetzen, sich mit der Autorin auseinandersetzt und das Buch liest, wie es damals gemeint war, der hat, wie ich, eine wundervolle Lektüre voller Ironie und historischer Momente. Auch der ab und zu auftauchende Ich-Erzähler (ich glaube, das kenne ich höchstens aus Kinderbüchern) ist ein tolles Stilmittel und verstärkt den Eindruck des beinahe liebevollen Umgangs der Autorin mit ihren Protagonisten.
Außerdem hat es mich doch sehr erstaunt, mit wie viel Sachverstand Mary Elizabeth Braddon an die psychologischen Aspekte herangeht. Fast könnte man meinen, sie hätte schon einmal einen Psychothriller gelesen, halt nein, eher spricht wohl eigene Erfahrung aus ihren Zeilen. Ja, es lohnt sich, ihren Lebenslauf zu betrachten, denn sie ist auf gar keinen Fall eine gelangweilte alte Jungfer, die mal eben ein Buch zusammengeschrieben hat.
Und ich finde es toll, dass sich der Dryas Verlag an dieses 'Relikt' herangetraut und es nun in 'zeitgemäßer' Form veröffentlicht. Ganz zu schweigen von der liebevollen Gestaltung.

Fazit?
Es lohnt sich!

Um dieses Buch genießen zu können
Stellt euch vor, ihr seit mitten in einem viktorianischem Wohnzimmer, ich meine natürlich 'Salon'. Der Abend hat begonnen, überall stehen Kerzen (oder vielleicht sind auch Gaslichter an den Wänden), ein wärmendes Feuer brennt im offenen Kamin.
Auf einem Sofa sitzen zwei junge Mädchen und lesen kichernd ihre Korrespondenz (also Briefe), auf einem Sessel hat es sich die Mutter mit ihrer Stickarbeit gemütlich gemacht. An einem Sekretär sitzt eine junge Frau und schreibt fleißig vor sich hin, immerhin wollen Freundinnen und Familienangehörige über die aktuellen Vorkommnisse informiert werden. An einem kleinen Tisch vor dem Fenster sitzt der Vater und liest die Times. Alles ist ein wenig überladen und sehr blumig und trotz der Lampen/Kerzen eher schummrig.
Da öffnet sich die Tür und eine weitere junge Frau kommt aufgeregt ins Zimmer.
'Das Buch', keucht sie beinahe atemlos. 'Das Buch ist da!' Aufgeregt schnattern die Mädchen auf dem Sofa, bestürmen ihre Schwester, sofort mit dem Vorlesen zu beginnen.
Doch Vater und Mutter haben Bedenken. Ein Buch von Mary Elizabeth Braddon in ihrem Haus? Nein, das ist äußerst verwerflich. Nun beginnen alle vier Schwestern, auf ihre Eltern einzureden, die schließlich der ältesten Tochter erlauben, mit ihrem Vortag zu beginnen - wenn die beiden Jüngsten das Zimmer verlassen. Die haben sich so etwas schon gedacht und gehen murrend hinaus, um sich in einem Gang zu verstecken, in den die Lüftungsgitter des Salons führen, sodass sie bequem lauschen können.
Die älteste Tochter beginnt im Licht einer besonders hohen und dicken Kerze zu lesen.
Nach und nach vergisst die Familie, womit sie gerade beschäftigt war, Mutters Stickzeug ruht in ihrem Schoß, Vaters Zeitung verliert ihren Reiz, die kommunikationsfreudige Tochter unterbricht ihre Informationsbemühungen und die Jüngsten klammern sich vor atemloser Spannung aneinander.