Rezension

Wir gegen den Rest!

Ihr Königreich -

Ihr Königreich
von Jo Nesbo

Bewertet mit 4 Sternen

Dieser Roman hat mir unruhige Nächte und eine diffuse Angst vor dem Autofahren beschert. Damit hat Jo Nesbo in der letzten Woche auch viel für meine Gesundheit getan, weil ich für meine täglichen Wege noch öfter auf das Fahrrad gestiegen bin als ohnehin schon. Und wenn ich demnächst mal wieder selbst am Steuer eines Autos sitze, werde ich vor der Teilnahme am Straßenverkehr meine Bremsen testen. Wobei es in meiner Wohngegend eigentlich keine Klippen oder fiesen Berghänge gibt, aber: Vertrauen ist gut, Kontrolle besser.

Diese Geschichte um Roy und seinen Bruder Carl ist verstörend. Dabei hat Jo Nesbo gar keine große Kulisse im schönen Norwegen entworfen, sondern ganz auf die Abgründe des Menschseins gesetzt. Das Setting ist total normal, fast langweilig in seiner Gewöhnlichkeit und doch erwächst sich gerade aus dieser scheinbaren Normalität pures Grauen.

Jo Nesbo präsentiert mit seinem Ich-Erzähler Roy, dass er sein erzählerisches Handwerk  mehr als beherrscht. Underdog Roy hält sich in seinem Heimatdorf Os und für den Leser sehr bedeckt und versteckt sich hinter dem Licht seines beliebten kleinen Bruders Carl, obwohl der Norwegen seit 15 Jahren nicht mehr betreten hat. Doch plötzlich ist er wieder da, mit einer Ehefrau und einem großen Businessplan im Gepäck, den es nun gilt umzusetzen. Die Karten werden neu gemischt und im Dorf beginnt sich Goldgräberstimmung auszubreiten, aber auch die Gerüchteküche wird ordentlich angeheizt und alte Geschichten landen wieder auf dem Tisch. Eine explosive Mischung, die für spannungsgeladene Unterhaltung sorgt.

Häppchenweise beginnt Roy nach und nach seine Familiengeschichte und seine Persönlichkeit auszupacken und diese gekonnt mit der Gegenwart zu verweben. So entsteht allein durch die Art seines Erzählens Spannung, die sich durch die Entwicklung der Gegenwartsgeschichte dann potenziert. Das ist in meinen Augen meisterlich und mehr als einmal erwische ich mich dabei, über die Logik und Kombinationsgabe von Roy den Mund offen stehen zu haben.

Wie nebenbei offenbart Nesbo mit seinem Plot die kranken Mechanismen des kapitalistischen Marktes. Investments mögen sich auszahlen, wenn sie gut durchdacht und vernünftig berechnet sind, aber in Os wirkt das Projekt auf mich, wie ins Spielcasino gehen und mit seinem geliehenen Taler alles auf die letzte Karte zu setzen, ohne ein mögliches Verlieren mit einzukalkulieren.

Einige Aspekte innerhalb der Handlung warfen bei mir im Nachhinein doch die ein oder andere Frage auf und wirkten nicht vollends glaubwürdig auf mich, aber das geht mir häufig so, wenn Figuren einen Mord nach dem anderen begehen. Das liegt am Genre. Abseits der Mordfälle offenbart dieser Roman die Widersprüchlichkeit unseres Menschseins unterhaltsam schaurig verpackt in den großen Fragen unserer Zeit.