Rezension

Wie viel von diesen Seiten ist Gold?

Wie viel von diesen Hügeln ist Gold
von C. Pam Zhang

Wichtiger, an seinen formalen Überfrachtungen leidender Roman

Wenn ein Thema gerade en vogue ist in der zeitgenössischen Literatur, dann die Frage nach der eigenen Identität. Ein Zeichen der Globalisierung ist die Hinwendung zu den existentiellen Fragen: Was macht mich aus? Wer sind „die anderen“? Wo komme ich her? Wohin gehöre ich? Wo ist mein Zuhause? Was ist überhaupt ein Zuhause? Dass Migrationserfahrungen beim Literarisieren dieser Fragen eine bedeutende Rolle spielen, ist nicht erst seit Vladimir Nabokov oder Rafik Schami offensichtlich.

C Pam Zhang stellt diese Fragen in Parallelität zu ihrer eigenen Lebenserfahrung als aus China in die USA ausgewanderte in einem historischen Roman, der kurz nach dem Goldrausch im äußersten Westen der Vereinigten Staaten spielt. Das ist pfiffig, denn „sein Glück zu machen“, ist Motiv sowohl vieler Einwanderer wie auch der Goldgräber. Und beiden steht die Ernüchterung in die Biographie geschrieben. In „Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“ sind die Schwestern Sam und Lucie auf der Suche, nachdem die Eltern beide verstorben sind. Als Kinder einer nicht der Mehrheitsgesellschaft angehörenden Minderheit und als mittellose Waisen aus dem Schlamm der Bergwerksunterschicht ist ihre Flucht auch eine Suche, ihr Ziel auch der Beginn. Zhang hat ihr Drama dafür bewusst durchkonstruiert – sowohl was Ziel und Beginn betrifft, wie sich später herausstellt, als auch was Kapitelfolge und Erzählpositionen betrifft. Besonders auffällig ist die Benennung der Kapitel mit Einwortbegriffen zu den Komplexen „Körper“ (Schädel, Fleisch, Blut) und „Land“ (Gold, Wind, Erde, Wasser, Salz und Pflaume), wobei jeder der Begriffe mindestens einmal in einem der drei Teile vorkommt. Teil Drei ist ein Zwischenkapitel und erzählerischer Wendepunkt (Wind Wind Wind).

Die Verbindung Körper-Land findet sich nicht nur in den Kapitelüberschriften, sondern auch in zahlreichen Motiven wieder, die den Wunsch des Individuums, in seinem (Wahl-)Heimatland aufzugehen, geradezu wörtlich nehmen. Das beginnt bei der Suche nach Gold und der Tätigkeit als Bergarbeiter (sein Glück buchstäblich in der Erde finden) und geht bis zur Verteilung der väterlichen Leichenteile über das Land.

Diese kunstvolle Konstruktion des Romans zwingt der Autorin allerdings die Wiederverwendung ihrer Motive auf, weshalb spätestens in Teil vier die Kapitelüberschriften beliebig gewählt und die Verwendung der Kapitelüberschrift als Motiv in der Erzählung wie ein künstliches Implantat wirken. Die Form diktiert hier den Inhalt.

Das bekommen auch die zentralen Anliegen der Autorin zu spüren, denn die Identitätsfrage kommt zu kurz oder versandet im seichten Geplätscher: „Was macht ein Zuhause zum Zuhause? Die Knochen, das Gras der Himmel, dessen Ränder … vertraut und fremd zugleich …“ und dann folgen 31 Worte in einem länglichen Vergleich mit einem Märchenbuch (S. 302). Zhang missglückt die knackige Antwort. Weil es sie nicht gibt? Im Gegenteil, es gibt viele knappe, wahre und treffende Bonmots zum Thema Heimat. Zhang kann es in diesem, ihrem Debütroman (noch) nicht.

Ob neben der Identitätsfrage mit Minderheiten-/Einwanderungshintergrund auch wirklich die aktuelle Genderdebatte in diesem Roman verhandelt wird, weil Samantha lieber als Sam leben möchte, halte ich für Behauptung; dafür sollte man sich keines historischen Stoffes bedienen. Dass der Klimawandel ebenfalls Thema des Romans ist, muss klar verneint werden – diese Interviewäußerung soll offenkundig die „Aktualität und Modernität“ der Erzählung zu Marketingzwecken aufwerten.

Die Sprache wechselt – übersetzungshalber? – zwischen Nähe und Distanz, schnell und langsam, ausgefeilt und flapsig, ohne dass ich darin eine Anbindung an den Inhalt erkennen kann. Dennoch ist Zhang ein sehr gut lesbarer, im Anliegen wichtiger Roman gelungen, der zu recht große Beachtung erfahren hat, auch weil er den Blick auf die unwürdigen Lebensumstände der asiatischen Einwanderer in die USA des 19. Jahrhunderts lenkt.