Rezension

Wann fängt die Geschichte an?

Das Labyrinth der Träumenden Bücher - Walter Moers

Das Labyrinth der Träumenden Bücher
von Walter Moers

Bewertet mit 5 Sternen

"Und hier fängt die Geschichte an."

Nach langem Hin und Her habe ich mich doch dazu durchgerungen ein paar Worte über ’Die Stadt der träumenden Bücher’ zu verfassen. Nicht zu verwechseln mit ‚Das Labyrinth der träumenden Bücher‘. Denn in der Stadt, dem ersten Band von und mit dem unvergleichlichen Hildegunst von Mythenmetz ging es ja um das Labyrinth unter Buchhaim. Und im Labyrinth geht es um die wieder aufgebaute Stadt, die vom Schattenkönig ja abgefackelt worden war. Äh, ja ihr seht ich hab’ schon wieder nen Dreher drin, tatsächlich hab’ ich grad den zweiten Teil gelesen. Und ich muss sagen: Dirk Bach fehlt mir- möge er in Frieden ruhen. Seine Vorleserstimme zum Hörbuch von Walter Moers war hervorragend. Wie dem auch sei, lag nun das gebundene Exemplar schon eine Weile auf meinem Stapel und ich habe spontan eine Leserune genutzt um dieses viel verschriene Buch auch einmal zu mampfen.

Fürchterlicherweise bin ich wohl eine derjenigen, die nach dem Genuß der Meinung ist: Ja, es liegt unter dem Niveau vom ersten Band, aber in den Spähren in denen Moers ormt ist das immer noch unterhaltsamer, belesener und unglaublicher als so einiges anderes auf dem Markt.Ich hatte die ganze Zeit über das Gefühl, als ob ich gelehrt werde in diesem Buch. Das war bei den anderen Werken über Zamonien (‚Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär‘, ‚Rumo und die Wunder im Dunkeln‘, 'Der Schrecksenmeister', etc) zwar auch schon immer so, aber im Labyrinth der träumenden Bücher merkt man es doch noch mehr. Wenn ich eines bewundere am Stil dieses Autors ist es das Vermögen sich in eine Thematik vollkommen reinzufressen und sie in Gänze auszunutzen. Meiner Meinung nach spüre ich beim Lesen all die Sekundärliteratur die ihm geholfen hat seine Ideen zusammen zu tragen, wenn er nicht sogar unerkannt zu Recherchezwecken in dem ein oder anderen Handwerksbetrieb vorbei geschaut hat. Wie ihr also schon sehen könnt, ich gebe frei weg zu, dass ich eine Freundin der Werke des Moers bin. Alles jedoch nicht (‚Ensel und Krete‘ zum Beispiel…)
 

"Und hier fängt die Geschichte an."

Der Protagonist in diesem Band ist erneut der Lindwurm. Älter, fetter, fauler und gelangweilt vom Erfolg. Und grad im Dinosaurier- Äquivalent zum ‚mausern‘. Er hat das Orm verloren, seine Brieffreundschaft zu Kiebitzer aus Teil Eins ist eingeschlafen und überhaupt ist er mittlerweile so berühmt, das er es sich leisten kann überhaupt nichts mehr zu tun. Seinen Werken fehlt es an diesem Wundermittel (Esprit, Charme, Spannung, Talent… kurz Orm) und die Leute wenden sich langsam aber sich von ihm ab. Nun wird so ein Lindwurm jedoch einige hundert Jährchen alt und irgendwann beginnt seine kreative Schaffensreise erneut. Und zwar wieder mit einem Brief. Wieder mit diesem verhängnisvollen Satz: „Und hier fängt die Geschichte an.“ Um ehrlich zu sein, hat mich das ja schon im ersten Buch total beeindruckt. Kein Wunder, dass auch Hildegunst erneut den Weg nach Buchhaim aufnimmt, verlockt von diesen Zeilen. Hätte ich auch.

Springen wir einfach mal direkt weiter. Denn die Kritiken sind sich sicher alle einig. Erst ist das alles noch voll schön. Mythenmetz läuft sämtliche Stationen erneut ab die er im ersten Buch angesteuert hat und selbst Leser denen ‚die Stadt der träumenden Bücher‘ unbekannt ist, haben kein Problem damit nach der Lektüre diesen Bandes zusammen fassen zu können, was der Inhalt der Reise des Lindwurms war. Moers verpackt die Rückblende letztendlich in ein Theaterstück des ‚Puppetismus‘ über den er dann Stundenlang erzählt, philosophiert, schwärmt und bastelt. Sehr zum Verdruß der Handlung, die dabei stagniert. Am Ende des Buches ist der verdammte Lindwurm zwar endlich wieder unter Buchhaim aber das war es dann auch schon.
 

Aber jetzt: "Und hier fängt die Geschichte an."

Nein, hier fängt die Geschichte immernoch nicht an. Denn Moers lässt seine Leser mit einem ‚Cliffhanger‘ zurück. Und ich meine wohl einem der besten die ich je gelesen habe. Warum? Machen wir eine ‚mythenmetzsche Abschweifung‘ zum Film. Genauer gesagt zu Serien. Is mir egal ob ihr jetzt an Xena oder Vampires Diary denkt. Die meisten der Episoden sind in sich geschlossen. Aber manchmal eben nicht und dann heißt es den Punkt zu finden, der die Spannung hält. Und das Schlimmste was passieren kann ist, dass der Zuschauer nicht weiter sehen will. Deswegen wählt man welchen Punkt? Richtig, dem an dem das Seil reißt, der Schuß fällt, jemand aufschreit, irgendetwas dramatisches. Schließlich kommt wohl das Wort ‚Kliff hängen‘ nicht von ungefähr. Und was haben wir hier in diesem Buch? Einen Hypochonder Dino ohne Freunde, mit viel zu viel Fantasy und der aber auch kein Stück schlauer ist als vor Zweihundert Jahren. Und er findet sich allein genau an der Stelle wieder, in der es im ersten Band so richtig los ging.

Moers bietet zwar selbst an, das man ja zum Beispiel den Abschnitt über Hildegunsts Notizheft überspringen kann, sollte man aber gar nicht, zumindest ich hab da erstaunlich viele Dinge gefunden die ich aus der realen Welt wieder erkannt habe. Außerdem beschleicht mich das Gefühl, dass wir hier eine verdammt ernste Geschichte haben, die ganz schön verdreht verpackt ist und das die peniblen Ausführungen doch noch wichtig werden. Moers verlangt von seinen Lesern einiges, er fordert sie. Eine ’seichte’ Lektüre für zwischendrin ist das nicht.
 

Fazit:

Dieses Mal bleibt der Leser mit dem bitteren Geschmack des Unzufriedenseins zurück. Ich finde, Moers kann sich das erlauben, es werden genügend Leser zurück eilen, wenn ‚Das Schloß der träumenden Bücher‘ irgendwann mal erscheint. Und ich? Tja, es gehört schon einiges mehr dazu, das ich Moers und Mythenmetz auf die Finger hau’- mir tat das Buch gut. Es steckt so viel Wissen in ihm. Abgesehen davon halte ich Moers wirklich für einen technisch versierten Autor, der es schafft gleichzeitig mit der Geschichte in der Geschichte (Theateraufführung) sein dramaturgisches Talent zu beweisen und es an der Handlung bewusst auszusetzen. Im Sinne des: Man darf ignorieren und verändern was man verstanden hat und anwenden kann.

Ich habe irgendwie das Gefühl, der Autor macht hier einen kleinen Feldversuch. Darüber hinaus, wer weiß, vielleicht schreibt er über sich selbst, seine Fans, seine Kritiker, seinen Verleger, seine (nicht vorhandenen) Auftritte… alles eine einzige riesige Metapher oder nur Zufall? Wie dem auch sei, Grafiken, Schriftarten und Schriftspiele, Kapitelunterteilungen und all die anderen Äußerlichkeiten deuten weiterhin auf das Niveau hin, das ich hörend lieben gelernt habe. Und ich finde weiterhin davon können sich so manch andere eine dicke Scheibe abschneiden.
Statt mich einzureihen in die Stimmen des: Das ist alles Geldmacherei und Moers hat sein Orm verloren, denke ich mir: Wenn DAS ‚nur’ der Prolog war… WAS kommt dann noch?
Denn obwohl man es vielleicht übersehen könnte. Es gibt eine unglaubliche Vielzahl an Hinweisen, die ich persönlich erwarte wieder aufgegriffen zu sehen im nächsten Band. Und ich kann hier gar nicht so viel aufzählen, wie ich mir an Notizen für die Leserunde heraus gearbeitet hatte.

Urteil: Ich kann warten