Rezension

Von Identität, Vorurteilen und Zusammenhalt

Der Tod des Vivek Oji
von Akwaeke Emezi

Bewertet mit 5 Sternen

Vivek Oji ist tot. Darauf weist bereits der Titel des Romans hin. Seine Mutter findet ihn eines Abends nackt und blutend vor ihrer Tür. Da atmet Vivek bereits nicht mehr. Im Folgenden entfaltet sich eine Geschichte, die Vivek Ojis Leben nachzeichnet und gleichzeitig der Suche der Mutter nach Erklärungen für den Tod ihres einzigen Sohnes Raum lässt. 

Vivek war schon immer anders. Bereits seine Geburt wurde von einer Schwere begleitet, ausgelöst durch den Tod seiner Großmutter. Anders ist er auch, weil seine Mutter ursprünglich aus Indien kommt. Sie gehört zu den sogenannten Nigerwives, einer Gruppe von ausländischen Frauen, die mit nigerianischen Männern verheiratet sind und sich gegenseitig unterstützen. Und schließlich ist Vivek anders, weil er Blackouts hat, weil er zarter und sensibler ist, weil er mit seinem Erscheinungsbild und seinen sexuellen Neigungen nicht den gesellschaftlichen Anforderungen an einen jungen Mann entspricht. 

Der Roman erzählt auf sehr eindrückliche Weise von Geschlechterrollen und dem von der nigerianischen Gesellschaft und Kultur als Norm anerkannten Männlichkeitsideal. So kommt beispielsweise zum Ausdruck, dass die Virilität und Fruchtbarkeit von Männern nicht hinterfragt werden darf, dass sie Kinder kriegen müssen und am besten einen Jungen und dass sie sich Freiheiten herausnehmen, die Frauen nicht gestattet sind. 

Der Umgang der Gesellschaft mit Menschen, die sich diesen Rollen und der binären Geschlechterzuweisung entziehen wollen, steht mit Vivek als Protagonisten und mit seinem Cousin Osita im Mittelpunkt des Romans. Da ist zunächst Viveks Tante, die ihn in ihre katholische Kirche mitnimmt, wo man ihn auspeitscht, um ihn von dem Dämon, der von ihm Besitz ergriffen hat, zu befreien. Oder die ständige Angst seiner Freunde und Familie, er könnte mit seinen langen Haaren auf der Straße für Aufsehen sorgen und gelyncht werden. 

Akwaeke Emezi erzählt unaufgeregt und voller Empathie über Identität, Geschlechterzugehörigkeit und Anderssein. Sie bleibt stets glaubwürdig, verliert sich nicht in Klischees und lässt es zu, dass unterschiedliche Stimmen und Perspektiven in ihre Geschichte einfließen und ihr eine Vielschichtigkeit verleihen. Trauer, Verlust und Reue wechseln sich mit Liebe und Zusammenhalt ab. Denn die Gruppe von Freunden, zu der Vivek gehört, schafft sich einen Raum, in dem jeder so sein kann, wie er will, in dem Sicherheit, Freiheit und Solidarität existieren. Ihre Freundschaft zeigt, dass Akzeptanz und die Überwindung von Vorurteilen und gesellschaftlichen Normen und Grenzen möglich ist. Trotz Viveks Tod, der in ihrem Mittelpunkt steht, wirkt die Geschichte daher nie düster. 

“Der Tod des Vivek Oji” ist ein eindrücklicher und gelungener Roman und jedem Leser zu empfehlen.