Rezension

Vom Vergessen und Verdrängen.

Weiches Begräbnis
von Fang Fang

Bewertet mit 3 Sternen

Chinesische Literatur ist gewöhnungsbedürftig.

Die Story ist schnell erzählt. Eine alte Frau, zu Lebzeiten unter partieller Amnesie leidend, fällt in ein Wachkoma. Stück für Stück führt die Autorin die Komatöse und ihre Leserschaft mit ihr zurück in das, was vor vielen Jahren einmal passierte.

 Mit sehr einfachen erzählerischen Mitteln entwickelt die Autorin ein Konzept, das in die Zeit der Chinesischen Bodenreform führt, also ca. 1949 bis 1952. Der Fokus der Erzählung liegt auf der Enteignung der Großgrundbesitzer und ihrer Ermordung und Auslöschung durch die von ihnen ausgenutzten Pächter und Tagelöhner. Mit dem Großen Sprung versuchte Mao anschließend den chinesischen Bauernstaat in die industrielle Moderne zu puschen. 

Der Kommentar:
Der Roman ist ziemlich ausschweifend und ermüdet ein wenig. Die chinesischen Namen machen nicht nur deshalb Probleme, weil sie anders aufgebaut sind als die europäischen, der Nachname wird zuerst genannt, sondern weil sie einander auch so ähnlich sind. Hat man diese Schwierigkeit bewältigt und läßt sich in die einfache Erzählweise einfacher Menschen fallen, eröffnet sich nach und nach der historische Kontext mit einem starken Bezug zum Persönlichen. 

Den historischen Kontext zu vermitteln ist ein ehrenwertes Anliegen und immer wieder neu notwendig. Es sei denn, man verweigert das Erinnern wie die alte Dame. Und das ist hier die Frage aller Fragen. 

Fazit: Die eigentliche Qualität des Romans liegt nämlich nicht in erster Linie in der Erzählung per se, sonden in der aufgeworfenen Problematik, ob es sinnvoll sei, vergangene Gräuel und Massenmorde in Erinnerung zu behalten und der geschändeten Menschen zu gedenken oder ob es nicht vielleicht gnädiger wäre, die Nachfahren (und sich selbst) durch ein gesamtvölkisches historisches Vergessen zu schonen. 

Kategorie: historischer Roman
Verlag: Hoffmann und Campe, 2021

Kommentare

Naibenak kommentierte am 02. Juni 2021 um 13:05

Ein sehr interessanter Gedanke in deinem Fazit. Macht mich direkt noch neugieriger auf das Buch :-)

Steve Kaminski kommentierte am 13. Juni 2021 um 14:24

Nicht erinnern heißt die Realität verleugnen, und die ist nun mal so, mit den Verbrechen. Und sie ist ja nicht weg, wenn man nicht daran denkt: Sie wirkt in den Menschen weiter, in den Tätern wie in den Opfern und in den Nachfahren. Gerade auch im Verschweigen.

Außerdem, jetzt bezogen auf deutsche Geschichte: Ein Ziel Hitlers (als pars pro toto für auch die andern an den Verbrechen Beteiligten) war es, die deutschen und europäischen Juden zu vernichten. Sich nicht an sie zu erinnern, heißt, Hitlers Versuch zu bestätigen, das Judentum und die Menschen auszulöschen. Erinnerung ist eine Möglichkeit, dem zu widersprechen.