Rezension

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Vexierspiel eines unbemerkten Mitbewohners… mit Mordplänen. Makaber!

Der Bewohner -

Der Bewohner
von David Jackson

Bewertet mit 3.5 Sternen

Untypisch unterhaltsam schwarzhumoriges Lesefutter aus der Gedankenwelt eines zwiegespaltenen Mörders, der plötzlich von begrabenen Emotionen heimgesucht wird; mit traurigen Tiefenmomenten aber ausbleibendem Wumms! Beschauliches Schaudern.

Polizeiliche Ermittlungen kommen hier gar nicht zum Tragen, sondern Mittelpunkt bildet der 25jährige zum Serienkiller eskalierte Thomas Brogan, der in einem Zufall-Zufluchtsort, einem mehrzeiligen Reihenhaus, sein (un)heimliches Unwesen treibt – mit tödlichem Ausgang?

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Vor der ihm auf den Fersen haftenden Polizeifahndung findet Brogan Unterschlupf in einem leeren, verlassenen Endreihenhaus. Über den Dachstuhl, der über eine unausgebaute Lücke im Spitz der jeweiligen (also nicht bis zum Dachfist hochgezogen) Trennmauern zu anderen Reihenhäusern Zugang eröffnet (eine in GB u. USA übliche, aus Feuerschutzgründen vorgeschriebene Bauweise), pendelt er unauffällig zwischen den Parteien, um sie auszukundschaften. Im zweiten Haus dieses Reihenblocks logiert die greise Elsie (mit einem tollen Hörgerät!), das dritte im Anschluss wird von einem um die 50 Jahre alten, zeternden Paar samt Ralph bewohnt, und das letzte der über die Dachböden erreichbaren Häuserreihe von den jung vermählten Fairbrights, Martyn und: Colette! Warum diese smarte Hübsche Thomas in besonders faszinierenden Bann zieht, versucht er zu ergründen… nicht ohne ganz besessen düstere Spielpläne zu entwickeln. Ob er jene auch wirklich bis zum bitteren Schlußakt durchziehen wird?

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Bei der flüssig-fluffig geschriebenen Geschichte aus der Sicht eines sportiven Gewaltverbrecher-Neulings blättern sich die Seiten wie von selbst - in einem fort und schnell läßt sie sich durchlesen. Im Großen und Ganzen bleibt sie von eher gediegener Spannung im schaurigen Bereich, der auch voyeuristischen Charakter aufweist.                                                                                                                                                                                                                                                  Die 15tägige Handlung, die in GB der Gegenwart angesiedelt ist und nach einer zweiwöchigen Mordserie an 10 Personen einsetzt, läuft kontinuierlich durch.      Wie grausam einige Brogans bisheriger Opfer zu Tode gekommen sein müssen, wird nur als angerissene, nichtsdestotrotz aussagekräftige Erwähnungen eingestreut. Nach welchem Kriterium jedoch über die Hälfte davon ausgewählt wurde, wie ‚raffiniert‘ überhaupt seine geliebten Spiele dort verliefen, wird nicht erörtert.

Kleinere Rückblenden sind vollkommen harmonisch eingearbeitet und diese wahrlich erschütternden Episoden aus Thomas‘ Kindheit & Jugendzeit erklären sehr gut den Werdegang hin zum verstörten und gebrochenen Psychopathen nebst seiner Motivlage.                                                                                                   Liebe, Gemeinschaft, Freundschaft, Vertrauen sind Brogans bittere Verluste, Nähe und Kommunikation seine Sehnsüchte, aber nun in einer pervertierten und fatalen Version. Sich intensiv mit dem Leiden seiner Opfer zu beschäftigen bietet ihm sadistisches Vergnügen und kaltblütige Ermordung einzigen Ausweg zu einem Überleben, um mit seinen Verletzungen zeitweise zurecht zukommen, weil sie - nach seiner Überzeugung - jetzt an die gehen die solche mehr verdienen als er es je tat.

 

+++ Wahnsinnig zu sein ist für ihn Normalität oder relativ, und Morden gut gegen Langeweile, denn nichts ist tödlicher als permanente Dunkelheit, fehlender Essensnachschub und… Gefühle! +++

Was zum Teufel geht im Kopf eines zerrissenen Mörders vor? Dieses Buch gibt Aufschluss... in skurriler Weise.                                                                            Denn für einen wie ein Kammerstück anmutender „Thriller“ sehr untypisch waren witzige Momente bis hin zu Situationskomik, z.Bsp. wenn der Immer-(Lebens-)Hungrige auf der Suche nach Proviant durch diverse Häuserteile schleicht und dabei auf Unvorhergesehenes stößt (auch herrlich, wie treffend Colette die Schlampe Gabrielle beschreibt). Genauso verblüffte oder schockierte der sarkastische Stil, allerdings überstimmt allmählich dieser (oder war es generell die erschreckende Absenz von Gefühlen wie innige Liebe & Zusammenhalt) aber auch einen erwarteten Ausbau des schlummernden Potenzials, obwohl David Jackson den vielen bösen Spaß sehr wohl in entscheidenden ernsteren Absätzen lobenswert verstummen läßt.

Während des gesamten Buchverlaufs ist der Protagonist, Thomas Brogan, in begleitender Gesellschaft seines Alter Egos und somit nie allein. Er hatte sich eine zweigespaltene Persönlichkeit zugelegt – dieser Prozess hätte noch expliziter ausgearbeitet werden können. Diese Zweckgemeinschaft befindet sich, mit recht viel schwarzhumorigen Wortwitz, stets im Zwiegespräch, um m.u. Ratschläge zu erteilen, das weitere Vorgehen zu besprechen oder zu kritisieren, wobei der auf zügiges Morden und Selbstschutz drängendere Part vom eher mit Bedacht zurückhaltend u. spielfixierten Handelnden durch Kursivdruck, - wie in einem Gespräch zwischen zwei Menschen,- problemlos unterschieden werden kann.

Damit taucht der Leser nicht nur in des Serienmörders Gedankengänge ein, samt Schlagabtausch, sondern er folgt Brogan wie ein Komplize, ist mit dabei, egal ob auf seinem Beobachtungsposten von Dachböden aus oder seiner Spionagetour per jeweiliger Bodenluke durch 4 Häuser-in-Reihe, in welchen er den individuellen Alltagsablauf und sonstige Gewohnheiten der unterschiedlichen Bewohner bis ins Schlafzimmer ganz aufmerksam registriert, unsichtbar belauscht und darüber seine nächsten Schritte schmiedet und seine Anwesenheit zu verschleiern sucht. Was Thomas dabei alles observiert und Privates entdeckt, kann auch im Leser teils unbändige Neugier erwecken, z.B. auf das von Elsie vorbereitete Geschenk, oder, den brennenden Wunsch zu erfahren, was Colette in ihrem abgeschlossenen, geheimen Schatzkästchen nur verborgen hält.

Nach dem ersten Buchdrittel gebärdete sich Thomas für mich zunehmend als Satanas, den gefallenen Engel: aus seinem Hinterhalt durch seine ausgediftelten Spielzüge ergötzt sich Brogan daran, Zwietrach zu säen und in das Dunkel der Zweifel zu stürzen, womit die Fairbrights gegeneinander aufgebracht werden sollen. Das konnte mich nicht mitreißen, erinnerte eher an einige Szenen bekannter Filmklassiker (was nicht störte) und entrüstete viel mehr hinsichtl. der angeblichen Liebe zwischen dem Ehepaar.

Zudem wird Colette mit ihrem hadernden Gewissen und womöglichen Selbsttäuschung konfrontiert, Martyns Infamie entblößt. Was wiederum gut war, jedoch eher zufällig geschah.

Vor dem eigentlichen finalen Mord will Brogan seine Machtposition voll auskosten und ist erpicht darauf zuzusehen, wie seine Stalkees (miteinander und) mit mentalen wie physischen Schmerz klarkommen und wie sie in ihren schwindenden Augenblicken reagieren, wenn alles schiefzugehen beginnt, wenn vor einander verdeckte Wahrheiten ans Licht gezwungen oder gänzlich nur in reiner Fiktion(!) konstruiert werden.

Und all das basierend auf Thomas Brogans eingebrannten Lebenserfahrung, die da lautet: „Die Dinge, die ich getan habe, sind nichts im Vergleich zu dem, was ich Paare einander antun gesehen habe.“ (S.344)

Eine Überraschung für mich war die großmütterlich zerbrechliche Elsie, die mir sofort ans Herz wuchs – eine fürsorglich selbstlose, liebevolle Dame, die noch immer ihren seit nun mehr 30 Jahren verstorbenen Sohn so sehr vermisste, und was sie, neben der netten und unschuldigen Colette, beim zynischen Misanthropen Thomas Brogan auslöste.                                                                                                                                                                                                                     Cols Erkenntnisse und Auseinandersetzung mit dem Leben und Tod bei Krankenhausbesuchen hätten noch ersichtlicher aufgearbeitet werden sollen, was aber mit einem verständnislosen, selbstbezogenen und oberflächlichen (Gesprächs-)Partner wie Martyn wohl recht schwer fällt.

Sehr einnehmend war der Umstand, dass ein Fremder im Haus für die Eine plötzlich die eigenen vier Wände nicht mehr leer erscheinen und freudigen Lebenssinn zurückgewinnen läßt, der gleiche für die Andere im vertrauten Heim den eigentlichen wahren Fremden samt Doppelleben entlarvt.

 

So wie Thomas bei anderen Geister ihrer Vergangenheit wachzurufen versteht, so schließen sich kurzfristig sogar Türen zu seinen eigenen begrabenen Zeiten auf. Und er erlebt, durch für ihn ja vollkommen Fremde, plötzlich aus der Versenkung aufsteigende Momente von ehemaliger Glückseligkeit und solche mit längs abgetöteten verstorbenen Empfindungen.                                                                                                                                                                                          Diese ergreifenden Aufbruchsrisse zu seinem früheren Ich, die mir wie kleine zarte Blümchen durch einen Gletscher hervorlinsten, und die Kraft zu entfalten schienen, geplante, weitere Morde immer wieder aufzuschieben, oder evtl. sogar diesen ganz den Rücken zu kehren, waren für mich das am Allerfesselnste und interessierten mich ungemein; nur wegen diesen las ich weiter und erhoffte mir fokussierende Entwicklung und ein kollossales Ende(, sie zeigten betrüblicherweise im Endeffekt lediglich, trotz Thomas finalen Innehalten, wie kaputt ein Mensch gemacht werden kann, dass TomB. einsamer Teufel bleibt, der es im Grunde nie mehr aus seinem Fegefeuer schafft).                                                                                                                                                                                                      Es ist dieser 'Gewissens'-Clinch der beiden Ichs von dem das Buch zehrt: die eine Persönlichkeit fängt erstaunlicherweise an, sich mit Gefühlen auseinanderzusetzen, will diese auskosten, so viel Stunden wie möglich mit diesen reaktivierten Regungen erhalten… gleichzeitig dies vor seinem Alter Ego verheimlichen und ausharren auf den perfekten Zeitpunkt zum Ausführen seiner perfiden Pläne. Der andere, der 'Beschützer' und Lebenserhalter, warnt ihn davor, emotionale (Ver)bindungen einzugehen, pocht dominant darauf, endlich zum mordenden Potte zu kommen, denn Emotionen machen schwach, unsicher und seien für ein Überleben nicht empfehlenswert - das sich Abwenden vom Töten könne den Tod bedeuten. Wer von den beiden wird sich am Ende durchsetzen?

 

Mit Stellen, die weniger beschönigend, sondern eher direkt formuliert sind, und damit Ekel hervorrufen können, muss gerechnet werden, z.B. wenn auf allen Sinnen, selbst dem hörenden, der biologisch authentische Zersetzungsprozess einer Leiche veranschaulicht wird.

F A Z I T :

Ihre Hölle durch ein intrigantes Mörderspiel ist Thomas Brogans Himmel - doch nie seine Befreiung. Als Nachtlektüre geeignet, sofern man nicht einschlafen möchte, weil einen das Buch einfach nicht ent-läßt. Warum vor dem Zubettgehen stets erst noch schnell Bananen durchgezählt werden sollten, das verrät DER BEWOHNER. Denn, einen Serienmörder als stillen Untermieter im Dachstuhl zu beherbergen ist so unwillkommen wie Geheimnisse aufdeckende Geister zu erwecken. Wer sich allerdings als der wahre Fremde im eigenen Heim entkleidet – darauf ist zu achten, und, wie viel schöner es ist, sich gegenseitig wie Geschenke zu behandeln.                                                                                                                                       

Ein sehr untypischer und ungehetzter Thriller - nicht nur wegen der Perspektive, (die eines Psychopathen mit dissoziativer Identitätsstörung), sondern von fast skurrilem Stil: er ist gespickt mit recht viel makaberen Noten und schwarzem Humor, und enthält darüber hinaus sogar berührende wie erschütternde Momente voller Vereinsamung und Traurigkeit… und Tote. Schade, aus dem abgestochenen Ende hätte David Jackson so viel mehr herausholen können, als unterm Strich nur die ernüchternde Gesellschaftskritik: mit WELCHER Selbstverständlichkeit, mit welcher Gefühlskälte, Gewissenlosig- und Gleichgültigkeit so viele Menschen, völlig grundlos und nur aus Selbstsucht, andere verletzen.  

 

Nicht als Klapp-Brochure, sondern nur als einfaches TaBu erhältlich.

Die Hörbuch-Version erscheint demnächst als ungekürzte Lesung auf 2 MP3-CDs.

 

Bewertung: 3,5 Sterne