Rezension

Verlust der eigenen Identität

Der verlorene Sohn - Olga Grjasnowa

Der verlorene Sohn
von Olga Grjasnowa

Bewertet mit 5 Sternen

Olga Grjasnowa begibt sich in ihrem neuen Roman „Der verlorene Sohn“ in ferne Welten: Jamalludin ist Sohn eines kaukasischen Herrschers. Als der Krieg gegen Russland verloren scheint, wird Jamalludin zum Spielball der Mächte: Der Zar lässt das Kind im Sommer 1839 nach St. Petersburg verschleppen, wo er am Hof des russischen Zaren aufwächst. 

Die Absicht des Zaren ist klar: er will später in Jamalludin einen treuen Vasallen als kaukasischer Herrscher haben. Jamalludin wächst in einer russischen Familie auf, ohne Kontakt zu seiner echten Familie. Er schlägt schließlich sogar eine militärische Laufbahn ein – wohl wissend, dass er eines Tages gegen das russische Militär in den Krieg ziehen könnte. 

Jamalludin, selbst Muslim, wächst in einer ganz anderen Kultur auf als die eigene. Nach Jahren rechnet er gar nicht mehr damit, jemals wieder nachhause zu kommen, verlobt sich sogar mit einer Russin. Doch sein Vater, Schamil, kann seine Freilassung vom Zaren erpressen. Wieder zuhause, in seiner Familie, wird er mit Argusaugen beobachtet. Man traut ihm nicht über den Weg, er muss noch beweisen, ob er einer der Ihrigen ist. Denn: „Ihre Vertrautheit lag zu lange zurück und sie wussten nicht, wie sie an die Vergangenheit anknüpfen sollten.“ 

So hat Olga Grjasnowa einen Roman verfasst, der den Verlust der eigenen Identität thematisiert, ohne auf eine starke erzählerische Entfaltung zu verzichten. Denn Jamalludin erweist sich unter anderem als ein genauer Beobachter der russischen Verhältnisse, der Unzufriedenheit in der Bevölkerung und des Arrangements der Macht am Ende des Zarenreichs.