Rezension

Über Muttersprache, Heimat und Identität

Fang den Hasen -

Fang den Hasen
von Lana Bastasic

Bewertet mit 5 Sternen

Lana Bastašićs Roman beginnt unvermittelt mitten im Satz ...

Ihre Icherzählerin Sara lebt seit 12 Jahren in Dublin. Ihre Heimat Bosnien und ihre Muttersprache hat sie abgelegt wie eine zu klein gewordene Schlangenhaut. Ein Anruf ihrer Freundin Lejla holt Erinnerungen zurück an die gemeinsame Kindheit und Pubertät in schwierigen Zeiten, als Menschen verschwanden und andere ihren Namen wechselten. Lejla hat erfahren, dass ihr Bruder Armin in Wien sein soll und zitiert Sara reichlich dreist zurück nach Bosnien. Sie will in Mostar mit dem Auto abgeholt werden zur gemeinsamen Autofahrt nach Wien. Lejla akzeptiert keine Widerrede. Dass Sara die teure und anstrengende Reise bezahlen wird, steht für sie fest. Als Jugendliche liebte Sara Armin; ihre ungeklärte Beziehung scheint ihr im Hintergrund aufzulauern. Heute lebt Sara in Irland mit Michael zusammen, weil auch er den Roman „Die Schatzinsel“ im Regal hatte, behauptet sie. Um ihren Weg in die Zukunft freizuräumen, muss Sara offenbar zunächst zu einer Begegnung mit Armin genötigt werden.

Auf der Reise nach Mostar wandern ihre Gedanken zurück zum Ende ihrer Kindheit und der Sache mit dem weißen Hasen. Ins Private drängte sich damals der Krieg. Saras Heimatstadt wurde die Luft abgedrückt, als Zeitungen und Musik verschwanden, der Schulunterricht ausfiel und Religion den Genozid bemäntelte. Armin verschwand; sein ungeklärtes Schicksal wurde zum magischen Band zwischen den Mädchen. Lejlas Familie hatte offenbar die falsche Seite gewählt und änderte daraufhin ihren Nachnamen. Jeder wusste damals, was geschah. Bis heute kennt Sara jedoch nur Verdrängung als Form der Bewältigung. „Ich war noch ein Kind“, sagt sie. 12 Jahre Abstand, erste Schreibversuche und eine Therapie in Irland waren offenbar nicht genug, um ihr Trauma zu bewältigen. Auf ihrer Reise mit Lejla muss Sara erkennen, dass sie Heimat und Muttersprache nicht einfach ablegen und zurücklassen kann, selbst wenn sie nie wieder zurückblicken würde.

Lana Bastašić erzählt mit bissigem Humor von Freundschaft und Pubertät in Kriegszeiten. Saras Identitätssuche visualisiert sie formal durch den Wechsel zwischen Ich- und Du-Form, ergänzt durch die Auseinandersetzung mit der literarischen Figur Lejla. Diese Folien bilden die Realität einer Region ab, in der Nationalität, Muttersprache und Staatsangehörigkeit einander überlappen, aber nicht identisch sind. Die Frage woher die Vorfahren einer Person stammen, bringt kaum weiter, wenn Muttersprache, Vatersprache und Unterrichtssprache sich unterscheiden.

Lana Bastašićs Roman endet unvermittelt mitten im Satz …

und könnte mit verändertem Blick noch einmal von vorn gelesen werden.