Rezension

Super spannender Thriller, bei dem nichts so ist, wie es scheint

Schweig! -

Schweig!
von Judith Merchant

Das Cover gefiel mir schon auf den ersten Blick wirklich gut, doch es war der zweite, der mir gezeigt hat, wie perfekt es wirklich zu der Geschichte passt. Die Gestaltung in Schwarz-Weiß lässt das Ganze ein wenig bedrohlich wirken, was nahezu perfekt die Stimmung dieses Thrillers widerspiegelt. Zudem passen die dargestellten Bäume wirklich gut zu der Handlung und verweise subtil darauf, was passieren wird.

Die Geschichte klang erst einmal gar nicht so außergewöhnlich, reißt mich aber der ersten Seite mit: Esther hat an dem Tag kurz vor Heiligabend eigentlich noch unglaublich viel zu tun: Der Bio-Tannenbaum muss noch abgeholt, die Geschenke noch eingepackt und das Essen noch vorbereitet werden, doch sie entscheidet sich spontan doch noch dazu, ihre jüngere Schwester Sue zu besuchen. Diese wohnt nach ihrer Scheidung alleine in einem riesigen Haus im Wald und will ihre ältere Schwester auf keinen Fall sehen, doch Esther will unbedingt kurz nach dem Rechten sehen, vor allem nachdem, was letzte Weihnachten passiert ist. Ein Schneesturm zwingt sie dann länger in dem einsamen Wald zu bleiben und die Schwestern Dinge anzusprechen, die lange ungesagt geblieben sind und die Ereignisse auslösen, mit denen keine der beiden gerechnet hätte.

Ich habe ehrlich gesagt, gar nicht so viel erwartet, sondern einfach einen ganz netten Thriller, den ich ganz entspannt lesen kann und der mich vielleicht auch ein bisschen dabei unterhält, aber dieses Buch hat es geschafft, mich ab der ersten Zeile vollständig in seinen Bann zu ziehen und so zu fesseln, dass ich die ganze Zeit versucht habe, zu raten, wer nun lügt, wer die Wahrheit sagt und wer die Tatsachen vielleicht einfach nur verdrängt. Dazu trug auch der fantastische Schreibstil bei, der einen unglaublichen Sog ausübt und mich mit jedem Kapitel mehr in seinen Bann gezogen hat.

Dazu trägt auch bei, dass die Kapitel aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird. Einmal kommt Sue zu Wort, dann wieder Esther und zwischendurch sogar Martin, Esthers Mann und mit jedem Kapitel erhält man neue Eindrücke, die sich teilweise massiv, teilweise nur in Kleinigkeiten widersprechen2, sodass man immer wieder an allem zweifelt, was einem die Figuren versuchen, zu erzählen. Aber genau das ist es, was das Buch für mich so spannend macht, hat man zu Beginn noch das Gefühl, man wüsste genau, in welche Richtung sich die Geschichte entwickeln wird und was passiert ist, habe ich meine Meinung nahezu nach jedem Kapitel ändern müssen, obwohl ich mich sonst zumeist recht gut auf mein Gefühl bei Thrillern verlassen kann. Doch hier habe ich immer wieder gezweifelt, Ideen verworfen und neue mögliche Lösungen erstellt. Das hat dafür gesorgt, dass mich das Buch zu jedem Zeitpunkt gefesselt hat, obwohl zeitweilig gar nicht besonders viel passiert. Das Buch lebt vielmehr davon, dass man sich immer wieder fragt, ob die gerade erzählte Geschichte der Wahrheit entspricht oder nicht. Trotz dieser sehr unzuverlässigen Erzählerinnen habe ich beide auf verschiedene Arten ins Herz geschlossen und mit ihnen mitgefiebert, obwohl ich nicht alle Entscheidungen gutheiße oder gar akzeptiere.

Alles in allem ist das Buch eine absolut positive Überraschung für mich. Ich habe wirklich schon lange keinen Thriller mehr gelesen, den ich so rund, so überzeugend und so spannend fand. Ich liebe die interessante Art zu erzählen und werde definitiv noch mehr Bücher von Judith Merchant lesen, am liebsten im Winter, in meinem Lesesessel mit einem heißen Kakao in der Hand.