Rezension

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Sprache überzeugt, Inhalt überrascht

Silber - Das zweite Buch der Träume - Kerstin Gier

Silber - Das zweite Buch der Träume
von Kerstin Gier

Bewertet mit 5 Sternen

Ich mag Kerstin Giers Schreibstil sehr gerne. Jedes ihrer Bücher strahlt ihr tiefgreifendes Sprachgefühl aus, und zieht den Leser sofort, allein beim Anblick in seinen Bann.

Ich habe den ersten Teil von Silber schon sehr gern gelesen, und freute mich sehr auf den Folgeband - auch wenn das Lesen des ersten Bandes schon eine Weile zurück liegt.

So viel es mir anfangs etwas schwer, in die Geschichte zu finden. Wer war noch mal Lottie und Ernest und Charles und wie war noch gleich die Familiensituation?

Aber auch wenn es anfangs ein paar Fragezeichen gab, waren kaum die ersten Sätze gelesen und meine Augen klebten auf den Seiten. Die ersten 289 Seiten hab ich „auf ex“ gelesen, wenn man es so ausdrücken möchte - dann folgte eine Zwangspause um auch den Rest einfach zu inhalieren.

Das liegt zum einen an dem Sog, den die Geschichte inhaltlich entwickelt, zum anderen an dieser unfassbar lockeren Art Kerstin Giers mit der deutschen Sprache zu spielen. Jeder einzelne Satz macht unheimlichen Spaß zu lesen.

 

Die Geschichte um die Träume und was darin geschieht und darin gefährlich sein könnte, wird lange auf kleiner Flamme gehalten. Statt dessen (und das ist genauso wichtig) werden anfangs die Erinnerungen aufgefrischt, so im Vorbeilaufen. Kerstin Gier weiß, wie sie ihre Informationen verpackt, dass man gar nicht merkt, woher man das alles plötzlich wieder weiß. (Sie wäre bestimmt eine gute Lehrerin geworden, die Schüler hätten gar keine Chance sich ihrer subtilen Art zu entziehen.)

Und auch während die Geschichte langsam Fahrt aufnimmt, wird noch viel auf charmante, kleine Details aus Livs und Mias Leben gelegt. Hier sind wunderbar sympathische, charakterstarke Protagonisten ins Leben gerufen worden, die man am liebsten ständig um sich haben würde.

Bei manch anderen Geschichten würde die Fokussierung auf Nebensächlichkeiten langatmig und uninteressant wirken, bei Silber II kommt zu keinem Zeitpunkt Langeweile auf. Egal welches Detail von Livs Leben dargestellt wird, man kann nicht genug bekommen.  (Ich möchte fast meinen, selbst einen Einkaufszettel aus der Feder von Kerstin Gier könnte man nicht achtlos und ohne Gefühl lesen.)

 

Mein erstes richtiges Highlight: Fuzzy-Wuzzy. Allein die Beschreibung von diesem hässlichen, unheimlichen Häschen! Wahnsinnig komisch, wenn man in Gedanken hören kann, wie er die Drohungen in Kindersprache lispelt und das auch noch mit einem Kichern begleitet wird. Zum Schießen!

 

Ich weiß noch nicht so genau, was ich von Henry und Grayson halten soll. Grayson ist mir persönlich lieber, weil er einfach interessanter ist. Henrys Geheimnistuerei gefällt mir hingegen gar nicht. Ich finde es zwar auch süß, wie er mit Liv umgeht, aber irgendwie fehlt mir ein Baustein in seinem Charakter. Wohingegen ich bei Grayson das Gefühl habe, ihn gut zu kennen. Es ist mir schleierhaft, wie Kerstin Gier es schafft (und wieso sie es tut), zwei interessante Jungs, interessant zu lassen. Normalerweise (in anderen Geschichten) kristallisiert sich ziemlich schnell heraus, welcher der „Richtige“ ist. Hier gibt es das nicht. Jedenfalls nicht für mich. Noch ein Grund sehnsüchtig auf Band 3 zu warten.

 

Jetzt bin ich zwar schon eine Weile aus dem Alter der Zielgruppe raus, allerdings mag ich das nicht so eng sehen. In einer Geschichte kommt es nicht immer auf den Identifizierungsgrad an. Ich versetze mich nicht so sehr in Livs Lage, als dass ich es genieße den Zaungast zu spielen. Ich hatte Spaß diese Geschichte zu lesen, aber ich fühlte nicht so wahnsinnig mit, wie es in anderen Geschichten der Fall wäre, aber ich war jede Sekunde in der Geschichte. Einzig als es an Arthurs letzten Versuch ging Mia etwas anzutun, war ich total aufgeregt. Und was für ein triumphales Kapitel mit Grayson und Henry das noch wurde. Dafür lese ich. 

 

Fazit

Stilsicher, sprachlich herausragend, inhaltlich innovativ. Kerstin Gier in Höchstform.