Rezension

So traurig wie tröstlich - ein großartiger Roman über menschliche Beziehungen

Bären füttern verboten - Rachel Elliott

Bären füttern verboten
von Rachel Elliott

Bewertet mit 5 Sternen

„Ich fühle mich überhaupt nicht wie ein Mensch (....)Die Welt um einen herum wird intensiv und langsam, und der Körper bewegt sich mit animalischer Präzision. Je größer das Risiko, desto stiller der Kopf. Es gibt keine Angst, keine Sorgen, keine Vergangenheit und keine Zukunft. Nur dieses Anheben des Beins. Nur dieses Ausstrecken des Arms. Es ist die reinste Form von Freiheit, die Sydney je erlebt hat“.

Die 47-jährige Sydney ist leidenschaftliche Freerunnerin, findet in der Sportart Ausgleich und Ablenkung, vergisst dabei ihre Sorgen. Sie kehrt nach dreißig Jahren nach St.Ives zurück, um sich dort ihrer Vergangenheit zu stellen, den Erinnerungen an einen Sommer, der alles veränderte. Als sie in einem kurzen Moment die Kontrolle verliert, setzt das eine Kette von Ereignissen in Gang, die viel mehr Menschen betrifft als vermutet.

 

Einfach macht es Autorin Rachel Elliot ihren Lesern nicht. Sie schreibt angenehm, treffend, präzise und direkt, oft humorvoll und scharfsinnig. Ihr multiperspektivischer Stil bezieht sich sowohl auf die Sichtweise verschiedener Personen als auch auf verschiedene Zeitpunkte. Da habe ich als Leserin  -wie auch so manche Hauptfigur- schon mal die Orientierung verloren. Aber im Laufe der Geschichte lernt der Leser die Charaktere besser kennen und unterscheiden, alles wird klarer. Wie ein Puzzle fügen sich die einzelnen Kapitel zu einem stimmigen Gesamtbild zusammen.

 

Eine ganze Reihe ungewöhnlicher Persönlichkeiten versammeln sich rund um Rachel und St. Ives. Da ist zunächst Rachel, die seit einem tragischen Erlebnis in der Kindheit nur noch glücklich ist, wenn sie Freerunning betreibt. Richtige Nähe lässt sich auch von Freundin Ruth selten zu. Besonders problematisch ist ihr Verhältnis zu Vater Howard: „Und wenn er die Hand ausstreckt, werde ich nie wissen, ob er damit sagt, komm her oder bleib weg“, erzählt Sydney. Howard schafft es einfach nicht, den frühen Tod seiner Frau Ila zu akzeptieren. Er hat Ila auf ein Podest gestellt, spricht in seiner Vorstellung immer noch mit ihr und lässt nicht zu, dass irgendjemand auch nur annähernd ihren Platz einnimmt. Zur Ruth, der Lebensgefährtin seiner Tochter Sydney hat er das Verhältnis, das er eigentlich mit seiner eigenen Tochter haben sollte. Ruth hält mit ihrer grenzenlosen Geduld so vieles zusammen, was eigentlich versehrt ist. Auch Dentalhygienikerin Maria, die Sydney in St. Ives kennenlernt, lebt in einer nicht intakten Beziehung mit Jon, mit dem sie wenig verbindet. Als Maria in Sydneys Leben tritt, ändert sich einiges im Leben aller Beteiligten.

 

Rachel Elliot hat von Berufs wegen als Psychotherapeutin viel mit Mensch zu tun. Das merkt man ihrem Werk an, sie beobachtet und kennt die Eigenarten, Schwächen, Stärken und Träume der Menschen ganz genau. Selten habe ich einen Roman gelesen, in dem so viel Treffendes über menschliche Beziehungen geschrieben wird: „Du machst ein Riesentheater darum, dass du kein Theater willst“ oder „Du tust es schon wieder. (..) Mich für etwas anmachen, was ich gar nicht gesagt habe“. 

In „Bären füttern verboten“ geht es um allerlei komplizierte Beziehungen, aber auch um Trauer, Traumata und die Unfähigkeit, Dinge zu akzeptieren und sich und sein Leben zu ändern. So traurig die Situation und der Roman anfänglich ist, so tröstlich endet das Buch. Die Figuren lernen neue Menschen kennen, die sie trotz eigener Probleme stärken. Da fühlen sich Gespräche schließlich an „wie eine Reise, auf der man die falsche Abzweigung nimmt und sich verläuft und an einem Ort landet, den man von allein nie gefunden hätte“. Manchmal braucht es etwas länger, bis wir wieder Hoffnung finden. Rachel Elliots Roman zeigt aber eindrücklich, sie ist eigentlich immer da, manchmal allerdings ganz schön versteckt. Irgendwann wird sich die Zuversicht schon durchsetzen. Ein großartiger Roman über Trauer, Verlust, Verarbeitung, Vergebung und Neubeginn, vielfältig, so traurig wie tröstlich, absolut lesenswert.