Rezension

Schonungslos, tieftraurig und voller Liebe - ein Herzensbuch!

Shuggie Bain -

Shuggie Bain
von Douglas Stuart

Bewertet mit 5 Sternen

Dies ist die Geschichte des Jungen Hugh „Shuggie“ Bain. Er wächst in einem Arbeiterviertel von Glasgow auf, wo in den 1980er Jahren Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Armut an der Tagesordnung stehen. Die Gegend, in der Shuggie lebt, liegt nahe einer stillgelegten Zeche. Die ehemaligen Zechenarbeiter sind arbeitslos oder verdienen sich ihr Brot als Taxifahrer. Shuggies Vater hat die Familie dort hingebracht, bevor er sie für immer verlassen hat. Shuggies Mutter Agnes ist aus Frust und Kummer wegen ihres ständig untreuen Mannes dem Alkohol verfallen und lebt von der Stütze. Als er sie verlässt, nimmt das Unheil seinen Lauf. Shuggie hat aber noch ein anderes Problem: er ist so gar nicht wie die anderen Jungs. Viel sensibler und zarter ist er und wohlerzogen, was ihm im kruden Arbeiterviertel und in der Schule Spott, Hohn und Ärger einbringt. Er wird überall gemobbt und ist am glücklichsten, wenn er seiner Mutter Agnes etwas Gutes tun kann...

Agnes ist aber Alkoholikerin und ihre extremen Stimmungsschwankungen treiben ihre beiden älteren Kinder Cath und Leek bald aus dem Haus, so dass der ca 12jährige Shuggie schließlich allein mit ihr ist und ständig alles dafür tut, um auf seine im Suff sehr umtriebige Mutter aufzupassen...

Harter Tobak. Diese Geschichte geht irre unter die Haut. Dies ist vor allem auch der sehr intensiven, kraftvollen, bildhaften, schonungslos ehrlichen und unendlich warmherzigen Erzählform des Autors zu verdanken. Er schafft von der ersten Seite an eindrückliche Bilder und lässt mich als Leserin sehr schnell in eine bedrückende, zum Greifen nahe Atmosphäre eintauchen. Im Mittelpunkt des Romans steht eigentlich gar nicht Shuggie, sondern seine Mutter Agnes. Der Autor hat offenbar seine eigenen Kindheitserlebnisse in diesem Roman verarbeitet – wahrscheinlich spüre ich auch deshalb so viel Liebe zwischen all der Verzweiflung und der Wut. Der Glasweger Arbeiter-Slang trägt ebenfalls viel dazu bei, eine sehr authentische, sehr rohe und hoffnungslose Stimmung zu erzeugen. Allerdings ist die Übersetzung dieses Slangs für mich anfangs sehr holperig erschienen – ich habe einige Zeit gebraucht, um mich daran zu gewöhnen und in einen guten Lesefluss zu kommen.

Zum Ende des Buches rückt mehr und mehr Shuggie selbst in den Mittelpunkt. Bis dahin habe ich noch keine recht enge Beziehung zu diesem Jungen aufbauen können, weil seine Mutter alles eingenommen und mich extrem in ihren Bann gezogen hat. Nun aber dreht es sich tatsächlich. Vielleicht, weil der Junge langsam schon erwachsener wird. Schuggie (evt sogar das Ebenbild des Autors?) bekommt Konturen, Gefühle werden deutlich(er), seine Beweggründe und Taten sind immer klarer nachvollziehbar für mich. Er wächst ans Herz, lässt mich mitfühlen und lässt am Ende auch ein bisschen hoffen.

Fazit: Hammer! Schonungslos, tieftraurig, voller Liebe und Respekt und mit ein wenig Hoffnung. Eine intensive Sozialstudie, die ich in der Form noch nicht gelesen habe und die mich zutiefst berührt hat. Dieser Roman ist ein Highlight und Herzensbuch.
       

Kommentare

alasca kommentierte am 27. Januar 2022 um 17:37

Ich fand den Roman unglaublich. Emotional ganz harter Stoff, großartig dargestellt. Gehörte zu meinen Top Ten in 2021.

Naibenak kommentierte am 28. Januar 2022 um 12:31

Für mich war es das absolute Highlight in 2021 - so unfassbar intensiv und hart und gleichzeitig voller Wärme, hat mich richtig umgehauen!