Rezension

Quo vadis Outlaw Duchess?

Von hier bis zum Anfang
von Chris Whitaker

Walk wollte Polizist werden seit er als Jugendlicher in seiner Heimatstadt Cape Haven in Kalifornien bei einer Suche nach einem vermissten Kind dabei war. Heute sorgt er im ruhigen Umfeld der Provinz unaufgeregt für Ordnung, falls es denn überhaupt zu einem Zwischenfall kommen sollte. Leider zu häufig muss er zu einem Einsatz bei Star Radley eilen. Die Schwester des damals vermissten Kindes kommt einfach mit ihrem Leben nicht zurecht, Leidtragende sind häufig ihre beiden Kinder Robin und Duchess. Duchess hält die Familie so gut es geht am Laufen, sorgt mit ihren dreizehn Jahren für den Haushalt, das Frühstück für den kleinen Bruder, den Notruf, wenn es mal wieder nötig ist. Der Schicksalsschlag damals hat Cape Haven nachhaltig geprägt und die Familie Radley für immer gezeichnet. Als Walks bester Freund aus Kindertagen, Vincent King, nach Jahrzehnten wieder auftaucht, wird dies abermals zu neuen Verwicklungen, Komplikationen und Ereignissen führen, die Duchess nun schlussendlich auch überfordern müssen, alles was sie bisher ganz gut hinbekommt, gerät ins Wanken und fliegt ihr irgendwann buchstäblich um die Ohren.

Wenn man liest und urteilt, und mit Duchess mitfühlt und manchmal auch ihre Entscheidungen und Handlungen verurteilt, dann vergisst man ganz leicht eine Tatsache: Duchess ist selbst ein Kind, gerade mal ein Teenager. Sie tut nur keine Kinder-Dinge, ihr Leben ist nicht das normale, sorglose einer Jugendlichen, was ja mitunter schon schwierig und verwirrend genug sein kann. Sie ist viel zu erwachsen, hat viel zu viel Erfahrung in der Abwicklung von Dingen, die sie gar nicht kennen sollte. Sie reagiert hochemotional und absolut – wie ein Teenie, aber mit anderen Mitteln, anderen Entscheidungen, weil das Schicksal sie dazu bringt. Das kann den Leser sehr mitnehmen und sehr berühren und macht für mich die Qualität der Erzählung aus. Duchess beginnt ihr Leben nicht erst, sie wurde nicht geboren und entwickelt sich weiter und weiter und wird irgendwann als Erwachsene einmal einen Erfahrungsschatz besitzen, Dinge erlebt haben, die sie das Leben einordnen lassen. Sie ist schon da, wie mit dem Katapult nach oben geschossen, sitzt sie auf einem Berg, auf ihrem „Hier“ und die Frage ist, ob es von diesem „Hier“, ihrer Lebensrealität, eine Option gibt „bis zum Anfang“ zu gehen. All das Erlebte, Erlittene noch einmal auf 0 zu setzen. Das Ende legt nahe, dass Duchess sich dieser Sache bewusst ist. Wie sie damit umgehen wird, ist selbstverständlich spekulativ, doch hat sie es geschafft, genug Empathie beim Leser zu wecken, ihr einen Rückweg zu wünschen.

Fazit: ein mitreißender und bewegender Roman über ein starkes Mädchen, eine tragische Familiengeschichte, eine große Liebe, viele Geheimnisse und Schicksale. Fast könnte dies auch die Schilderung eines kitschigen Liebes- oder Familienromanes sein, aber weit gefehlt, es ist viel mehr Entwicklungsroman als dies, Soziogramm einer Kleinstadt – wer sich darauf einlassen möchte, wird einen tollen Roman lesen.