Rezension

Psychoterror in sozialen Medien

Die Nachricht
von Doris Knecht

Bewertet mit 3.5 Sternen

 Der plötzliche Unfalltod ihres Mannes war ein Schock für Ruth - auch wenn die Ehe im Laufe der Zeit zu einem Nebeneinander geworden war und sie über eine Trennung nachgedacht hatte. Vier Jahre später hat sie sich gefangen, führt ihre Freundschaften fort, hat eine on-off-Beziehung mit dem Psychiater, der sich in der Anfangszeit um ihren damals 12-jährigen jüngeren Sohn gekümmert hatte, der Zeuge des Unfalls war. In diesen Neubeginn platzt plötzlich eine Fcebook-Nachricht: "Weißt du eigentlich von der Affäre deines prächtigen Ehemanns?"

Das ist der Ausgangspunkt von Doris Knechts "Die Nachricht", in dem sich die Ich-Erzählerin dem Psychoterror eines Stalkers in sozialen Medien ausgesetzt  sieht. In de Hörbuchversion gibt Vera Teltz Ruth ihre Stimme. Ihre warme und ausdrucksvolle Stimme macht das Zuhören zum Genuss, lässt Gesprächsszenen ins Kopfkino einfließen und macht die Wut, Ratlosigkeit und Zweifel Ruths nachvollziehbar.

In der Tat, Ruth wusste von der Affäre und hegt nun den Verdacht, dass "die Andere", die noch nicht einmal offiziell um den Geliebten trauern kann, sich so an ihr rächen will. Doch die erste Nachricht ist nicht die einzige, und der Empfängerkreis wird immer größer. Ruths Freunde, Geschäftspartner, Bekannte erhalten ebenfalls Nachrichten. 

Sehr bald geht es nicht um die Affäre, sondern um Angriffe auf Ruth - wegen ihres eigenen Verhältnisses, sie sei notgeil, doch wer wolle sie schon haben. Sie wird wegen ihrer feministischen Ansichten, die sie auf social media verbreitet ebenso attackiert wie wegen der Tatsache, dass sie es wagt, als Endvierzigerin mit  erwachsenen oder fast erwachsenen  Kindern noch ein Sexleben zu haben.

Die Nachrichten verändern die ohnehin eher introvertierte Drehbuchautorin, vor allem, da ihr von beruflichen  Partnern immer deutlicher signalisiert wird, wie störend diese Angelegenheit sei. Verstört zieht sie sich immer mehr zurück, nimmt am Austausch in sozialen Medien kaum noch teil, ist in Gesprächen mit Freunden nur noch fixiert auf die Frage, wer die bösartigen Nachrichten verfasst. Sie muss die Erfahrung machen, dass vom Opfer erwartet wird, endlich mal Ruhe zu geben, während die Nachrichten weiter Dreck in die virtuelle Welt schleudern. 

Gerade die innere Veränderung, die Ruth durchmacht, das wachsende Misstrauen, mit dem sie auf ihre Umwelt blickt, die innere Einsamkeit, die sich von dem durchaus positiv gesehenen Alleinsein unterscheidet, beschreibt Doris Knecht nachvollziehbar. Mitunter wirkt Ruth zwar regelrecht besessen vom Verfasser der Nachrichten, wenn sie etwa erwartet, dass jeder aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis die anonylme Hetze an sie weiterleitet und sie immer und imme wieder die Nachrichten liest. Der seelischen Gesundheit tut das nicht gerade gut.

Der Umgang mit dem Stalking zeigt auch, auf welche ihrer Freunde sich Ruth verlassen kann und wer sich in schwierigen Zeiten abwendet. Zugleich ist "Die Nachricht" die Auseinandersetzung mit einem Frauenleben nach einer Zäsur, in der Lebensmitte, mit der Frage nach Neuorientierung oder Verbleib bei dem Gewohnten. Das Stalking ist letztlich die extreme Form, wenn es um den Blick von (manchen) Männern auf Frauen und ihren Umgang mit ihnen geht. Insofern ist "Die Nachricht" ein Buch über weit mehr als nur den Psychoterror, dem Ruth ausgesetzt ist.