Rezension

Poesie und wunderschöne Worte für eine Kindheit voll Schmerz und Einsamkeit

Kindheit
von Tove Ditlevsen

Bewertet mit 5 Sternen

Was für ein wunderbares Büchlein! Nur gering an Seiten, ist es doch randvoll mit ganz viel Großem – zuvorderst einer Sprache, so voller Poesie, Gefühl und Gedanken, die mich verzaubern, hinfort tragen. Doch so schön in Wort und Bild, so bedrückend, gar traurig ist das Geschilderte.

Tove fühlt sich nicht zugehörig – weder der Familie, den Klassenkameraden noch der Gesellschaft. Sie unterscheidet sich, ihre Sicht auf die Welt ist eine andere, und immer wieder sind da die Worte, die sie durchströmen, durchdringen, ihr eine eigene Sprache geben. Das macht sie zu einer Einzelgängerin, der die Identifikationsmöglichkeiten und Verständnis anderer fehlen, der Austausch mit Menschen, die ihren Gedanken und Gefühlen und zuvorderst ihrem Schreiben gegenüber offen und vorurteilsfrei sind. Immer wieder wünscht sie sich nur den einen Menschen, der ihre Gedichte versteht, der diese mit Interesse und Ernsthaftigkeit betrachtet, sie als das zu sehen vermag, was sie sind: Kunst.

Sind Toves Empfinden, ihre Weltsicht und ihre hohe literarische Begabung das, was sie von anderen trennt, so ist ihre Poesie zugleich auch ihre Zuflucht in einer Zeit der Einsamkeit und Traurigkeit. Ohne eine wahre Freundin oder Freund an ihrer Seite, ohne einen Seelenverwandten das Erwachsenwerden erleben zu müssen, ist eine große Bürde für sie, verstärkt durch die fehlende emotionale Nähe in ihrer Familie. Toves Flucht in ihr Schreiben ist eine Flucht in sich selbst, ihre Worte, mit denen sie Gefühlen Ausdruck verleiht, die sie sonst mit keinem teilen, auf keinem anderen Wege zu äußern zu vermag.

Dieses Leseerlebnis war ein ganz besonderes. Schon lange hat mich ein Buch nicht mehr so berührt, angesprochen, mit in eine Welt lange vor meiner eigenen gezogen. Eine große Entdeckung für mich, die Entdeckung einer großen Schriftstellerin. Dafür bin ich dankbar.