Rezension

Pirlo - schlicht, authentisch und überzeugend

Pirlo - Gegen alle Regeln -

Pirlo - Gegen alle Regeln
von Ingo Bott

Bewertet mit 5 Sternen

Wie schnell man vom gefeierten Anwaltsstar zum Sündenbock mutieren kann, erlebt Dr. Anton Pirlo am eigenen Leib. Eben noch angestellt in einer bekannten Kanzlei, sitzt er jetzt im eigenen Wohnzimmer und gibt sich dem Frustsuff hin. Doch dann steht Eva Pogorzelskij vor seiner Tür, auf der Suche nach einem Verteidiger für ihre Tochter. Diese wird angeklagt ihren Ehemann, einen bekannten Unternehmer, ermordet zu haben. Ein Prozess in dieser Größenordnung ist natürlich sehr medienwirksam und eröffnet Pirlo eine Rückkehr zurück ins juristische Rampenlicht. Auf Empfehlung seines Doktorvaters stellt er Sophie Mahler in seiner "Wohnzimmerkanzlei" an. Für die junge Strafverteidigerin ist es der erste Fall überhaupt.
Beide Protagonisten ergänzen sich für meinen Geschmack sehr gut. Ein erstes Herantasten an sein Gegenüber - Sophie wurde vorab durch Pirlos Doktorvater ja bereits auf die Eigenheiten ihres neuen Chefs "gebrieft" - um zu sehen wie der andere denkt und arbeitet. Auch wenn das auf den ersten Blick nicht so erscheint (Pirlo dirigiert jede Menge Arbeiten an Sophie und geht dann auf einen "Denkspaziergang"), ergeben beide ein gutes und konstruktives Team. Dabei erhält der Leser sehr interessante Einblicke in die Arbeit eines Verteiders vor Gericht.
Die Dialoge in den Gesprächen zwischen beiden sind spritzig und unterhaltsam. Wenn beide sich in Spekulationen und Vermutungen ergehen, lädt das auch ein wenig zum mitraten ein. Lediglich ganz zu Beginn verfällt der Autor in einen sehr trockenen Stil. Eben noch in einer Unterhaltung, lässt der Autor Sophie aus dem Kopf eine Passage aus Vergleichsurteilen zitieren. Allerdings auf eine Art und Weise, die die Figur wie einen Roboter erscheinen lassen. Danach wechselt er wieder in einen "menschlicheren" Ton. Das empfand ich an dieser Stelle ein wenig unpassend, denn auch bei den Auftritten vor Gericht oder gegenüber der Mandantin taucht dieser Stilwechsel nicht auf - auch bei professioneller Sprechweise.

Man erhält als Leser auch einen Einblick in das Privatleben beider Figuren. Nicht extrem ausgedeht, aber doch ausreichend genug um zu erkennen, dass hier eigentlich zwei Menschen aus völlig unterschiedlichen Gesellschaftsschichten aufeinanderprallen. Pirlo, der Sohn einer Flüchtlingsfamilie mit nicht immer ganz so gesetzeskonformen Regeln. Und im Gegensatz dazu Sophie, die Tochter eines in Düsseldorf hochangesehenen Anwalts, denen Strafrecht nicht prestigeträchtig genug ist.

Mir gefällt der Schreibstil. Kurze und präzise Sätze, keine aufwendigen Schnörkel und extra geschönten Sätze. Kernig und kraftvoll, dadurch entsteht insgesamt ein gefühlt recht hohes Tempo in der Geschichte. Irgendwas ist immer "los", es geht immer voran, die Geschichte dümpelt nicht vor sich hin. An Kraftausdrücken wird ebenfalls nicht gesparrt. Wer hier ein bisschen empfindlich ist, sollte das Buch eher nicht in die Hand nehmen.
Und auch wenn dabei keine Autos in die Luft fliegen oder Zeugen auf wundersame Weise verschwinden, ist die ganze Geschichte von Anfang bis Ende unheimlich spannend geschrieben. Gleichzeitig wird hier auch ein Eindruck von den Geschehnissen vor Gericht vermittelt. Dazu kommt noch ein gutes Maß an Lokalkolorit und insgesamt sehr glaubwürdig gezeichneten Figuren.

Da ich bei dem Titel zuerst an den Fußballer denken musste, musste ich sehr schmunzeln, dass mein Gedankengang in dem Buch an einer Stelle tatsächlich auch aufgegriffen wurde. Auch wenn es nur ein Zufall war, fand ich das sehr witzig und es hat mir das Buch gleich noch ein bisschen sympathischer gemacht.

"Pirlo" ist ein clever geschriebener Justizkrimi, der mich mit seiner Schlichtheit und Authentizität sehr begeistert hat.