Rezension

Peter Pan mal anders

Die Chroniken von Peter Pan - Albtraum im Nimmerland
von Christina Henry

Inhalt:

In der Stadt war es dreckig und dunkel, dort lebten die Großen, die einem Essen klauten, einem Angst einjagten und einen in den Dreck schubsten.

Wenn Peter einen verlorenen Jungen aufsuchte, dann machte er ihm ein Versprechen: Auf der Insel würde alles besser werden. Dort gibt es zu Essen, so viel man wollte. Keiner schlägt einen, man schläft in den Bäumen und schmeckt das Salz des Meeres in der Luft. Auf Peters Insel zu leben, bedeutet jeden Tag Schätze zu suchen und Spaß zu haben.

Kein Wunder, dass es Peter immer wieder mit Leichtigkeit gelang, neue Jungen mit auf die Insel zu bringen. Jungen, die als Ersatz für diejenigen dienen sollten, die erst vor kurzem gestorben waren …

 

Meinung:

Wer kennt sie nicht, die Geschichte von Peter Pan. Dem kleinen Jungen, der fliegen konnte, der Kinder von ihren bösen Eltern erlöste und diese zu sich ins Nimmerland holte. Ein Land voller Phantasie und Spaß. Mit Piraten, die als einzige Antagonisten angelegt waren.

Christina Henry erzählt in ihrem Buch, “Die Chroniken von Peter Pan – Albtraum im Nimmerland“, eine andere Geschichte aus der Sicht von Peter Pans “bestem Freund“ Jamie. Dem ersten Jungen, den Peter damals auf die Insel geholt hatte, und der immer glaubte, etwas Besonderes für Peter zu sein. Er war kräftiger als alle anderen und mutiger. Wenn Peter seine Geheimnisse teilte, dann mit Jamie. Wenn er mit jemandem spielen wollte, dann am liebsten mit ihm.

Jamie ist klug. Er hatte Peters Fassade im Gegensatz zu den anderen Jungen schnell durchschaut. Peter liebt es zu lügen. Ziele, über die eigene Person hinaus, verfolgt er nicht. Er will Spaß haben, er will immer im Mittelpunkt stehen. Man soll ihn bewundern und zu ihm aufschauen. Tut man das nicht, dann weckt man seinen Zorn und das hat Konsequenzen.

Besonders “auf dem Kieker“ hat Peter jedoch Charlie. Mit seinen fünf Jahren ist er der Jüngste in Peters Gruppe. Damals wollte Peter diesen Jungen unbedingt haben. Warum, das erschließt sich Jamie im Nachhinein nicht, denn nun möchte Peter nur noch eines: Charlie los werden. Der Junge ist ihm ein Dorn im Auge. Ständig weint er und hängt an Jamies Rockzipfel. Man kann einfach keinen Spaß mit ihm haben. Gerade weil er noch so jung und schutzbedürftig ist, kümmert sich Jamie ganz besonders um den Kleinen. Er weiß, wozu Peter im Stande ist. Er weiß, was es bedeutet, wenn Peter eine Geschichte von einem kleinen Küken erzählt, dem ein Krokodil im Schatten auflauert, das unbedarft über die Wiese läuft und letztlich von dem Monster verschlungen wird. Wenn Peter dies erzählt, dann figurativ: Das Küken ist Charlie und das Krokodil im Schatten er selbst.

Christina Henrys Buch verspricht Spannung und subtilen Horror. Peters Gruppe verfolgt eine gemeinsame, sozialdarwinistische Ideologie. Ist man stark und klug, hat man gute Überlebenschancen. Ist man das nicht, so wird man früher oder später sterben. Sei es im Kampf gegen Gruppenmitglieder, gegen die Piraten oder gegen die Vieläugigen. Dass Peter einem helfen wird, das sollte man nicht erwarten, denn Peter schert sich nicht um den Verlust eines Jungen. Schließlich ist es so einfach, einen neuen Spielkameraden aus der Anderswelt zu holen.

Wenn Peter zum Kampf gegen die Piraten auffordert oder des Nachts zum Schwimmen bei den Meerjungfrauen einlädt, dann klingt das nach Spaß. Dass Piraten und Haie ihre Opfer fordern, davon wissen die Jungs nichts.

Peter ist ein Meister darin anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben. Wenn also etwas schief läuft, dann gibt es dafür eine gute Erklärung. Ein Missgeschick, über das nicht lange gesprochen wird. Stattdessen lenkt Peter ab, mit neuen Ideen, fantastischen Geschichten, mit Lachen und Schabernack. So gelingt es schnell, Probleme zu verdrängen und auch düstere Geschehnisse geraten sehr schnell in Vergessenheit.

 

Fazit:

Mit die "Chroniken von Peter Pan – Albtraum im Nimmerland" schreibt Christina Henry ihre zweite Märchenadaption. Diesmal aus der Sicht von Peter Pans “rechter Hand“, Jamie. Dem Jungen, den Peter als erstes auf seine geheime Insel Nimmerland geholt hatte. Der Junge, der Peters Posse durchschaut, der ständig bemüht ist, die Jungen zu beschützen, weil es kein anderer tut.

Wie bereits aus den Chroniken von Alice bekannt, gelingt es der Autorin über den lauernden Horror des Lebens in einem Märchen zu berichten. Peter Pan entpuppt sich bei ihr als sozialdarwinistische Dystopie. Peter ist hier ein mit allen Eitelkeiten der Welt ausgestatteter prototypischer Narzisst und zugleich ein Meister der Manipulation.

Für zartbesaitete Leser ist dieses Buch nichts. "Die Chroniken von Peter Pan – Albtraum im Nimmerland" verspricht aber Spannung und subtilen Horror. Das Ende kommt recht flott, wenn nicht sogar ein Stück weit überstürzt daher, was dem Lesespaß aber keinen Abbruch tut.

Für mich ist und bleibt Christina Henry ein Geheimtipp.