Rezension

Patriarchalische Strukturen + destruktive Männlichkeitsbilder erkennen und verändern

Sei kein Mann - Jj Bola

Sei kein Mann
von Jj Bola

Bewertet mit 5 Sternen

Ich wollte nur kurz hineinschauen und habe mich so festgelesen, dass ich das vorliegende Buch fast in einem Rutsch las.

Der Schriftsteller und ehemalige Sozialpädagoge stellt unser allgegenwärtiges patriarchalisches System dar, untersucht das Konstrukt „Männlichkeit“ und zeigt Auswege aus diesen destruktiven Strukturen auf gesellschaftlicher sowie auf individueller Ebene.

Er beginnt mit einer kritischen Bestandsaufnahme, in der er sehr faktenreich das Patriarchat darstellt, wobei es für bereits sensibilisierte Leser*innen vielleicht nicht viel Neues gibt. (Die nebenbei gegebenen Einblicke in die kongolesische Kultur sowie die persönlichen Erfahrungen des Autors in England fand ich sehr spannend.) Er erklärt die Strukturen und Dynamiken und zeigt, wie die Rechte der Männer gegenüber den Rechten der Frauen geschützt und priorisiert werden. Er geht auf die me- too Debatte ein, „Privilegiert zu sein bedeutet, nicht verurteilt zu werden!“ Zudem thematisiert er Diskriminierungen, aufgrund von Hautfarbe und Sexualität. (Super spannend empfand ich die kurzen, etwas später folgenden Ausführungen über Geschlechterfluidität in vorkolonialer Zeit!)

Darauf aufbauend untersucht er die bestehenden Männlichkeitskonstrukte. Er beschreibt, wie gesellschaftlich gesehen „ein echter Mann“ sein soll. Als ein wesentliches Merkmal benennt er das Unterdrücken von Gefühlen, das Nichtzeigen dürfen. Den Männern werde beigebracht, eine Maske zu tragen, welche „die wahren Gefühle und Probleme verdeckt“. So lautet auch der englische Originaltitel „Mask off“, den ich insgesamt etwas passender finde. Dass Gefühle kaum mehr gezeigt oder besprochen werden sollen, habe für viele Männer katastrophale Folgen, es kommt zu Entfremdung und Depression.

Einen weiteren sehr kritischen Hauptpunkt sieht er darin, dass Gewalt als ein oft priorisierter Weg gesehen wird, Konflikte zu lösen. Er fragt sich: „Wie kann es sein, dass wir als Gesellschaft männliche Gewalt eher akzeptieren als männliche Liebe?“

Deutlich zeigt er die Toxizität dieser Männlichkeitskonstrukte, die nicht nur für Frauen zerstörerisch sei, sondern auch in großem Maße für Männer, denn: „Nur ein kleiner elitärer Kreis, die Oberschicht der Männer, profitiert wirklich vom Patriarchat.“

Der Autor diskutiert nun, wie auf gesellschaftlicher Ebene ein Wandel zur wirklichen Geschlechtergleichheit gelingen kann. Er verweist auf die Wirkmächtigkeit von sozialen Medien, die Wirkkraft von Vorbildern wie Musikern und Sportlern. Er fordert einen anderen Umgang mit psychischen Erkrankungen, fordert die Thematik der Einvernehmlichkeit unbedingt in den Sexualkundeunterricht mitaufzunehmen und vieles mehr. Zudem erklärt er Feminismus und äußert sich zur Frage, ob auch Männer Feministen sein können.

Schlussendlich zeigt er ganz praxisnah in zehn Handlungsanweisungen, was Jungen bzw. heranwachsende Männer für sich und andere tun können, um sich aus den toxischen und destruktiven Männlichkeitskonstrukten befreien zu können. Ein sehr großartiges und überzeugendes Ende, welches mich aufgrund seiner Konkretheit sehr positiv überrascht hat!

Dieses humanistische Essay liest sich unterhaltsam, humorvoll und nachvollziehbar. Es zeugt von klaren Gedanken, einer feinen Beobachtungsgabe und viel Empathie. Die Sprache ist einfach, klar und manchmal recht locker,dabei aber stets seriös gehalten. Das Einbringen von Statistiken, kurzen Interviewausschnitten sowie ein Quellenverzeichnis runden das Ganze ab.

Hauptansprechpartner sind vor allem heranwachsende Männer und Frauen. Ihnen kann das Werk eine wesentliche Hilfe sein, sich selbst und bestehende Strukturen besser zu verstehen, Problemlösungen zu entdecken und eine bewusste Haltung zu entwickeln. Meinen Kindern werde ich dieses Werk auf jeden Fall in die Hand drücken!

Davon abgesehen ist das Werk für alle anderen ebenso geeignet und sehr empfehlenswert!