Rezension

Ost und West – zwei Welten

Die Enkelin -

Die Enkelin
von Bernhard Schlink

Bewertet mit 5 Sternen

Eine aufrührende Geschichte die nachdenklich stimmt und zu Diskussionen anregt.

Als Buchhändler Kaspar Wettner abends nach Hause kommt, findet er seine Frau Birgit tot in der Badewanne. Unfall oder Selbstmord? Kaspar weiß es nicht, er weiß nur, dass seine Frau Alkoholikerin war, verschlossen und in sich gekehrt, und er sie trotzdem sehr geliebt hat. Erst nach Wochen kann er sich dazu überwinden, ihren Schreibtisch zu öffnen und ihre Unterlagen zu sichten. Dabei findet er das Manuskript eines Buches, ihres Buches, ihre Lebens- und Leidensgeschichte zu der Zeit in der DDR, bevor Kaspar ihr zur Flucht nach Westberlin verhalf und sie dort heiratete. Was er darin erfährt erschüttert ihn zutiefst. Als er Birgit kennen und lieben lernte war sie bereits schwanger von Leo Weise, einem verheirateten Parteigenossen, und gebar kurz vor ihrer Flucht ein Mädchen, das sie Svenja nannte. Hebamme war ihre Freundin Paula, die das Kind seinem Vater Leo und dessen Frau übergab. Während der ganzen Zeit ihrer Ehe mit Kaspar sehnte sich Birgit nach ihrer Tochter, brachte aber nie den Mut auf, nach ihr zu suchen. Sie vermutete in ihr eine kraftvolle, lebensfrohe, glückliche junge Frau – in Wirklichkeit war Svenja auf die schiefe Bahn geraten und drogen- und alkoholabhängig. Inzwischen muss sie über vierzig Jahre alt sein und Kaspar beschließt, sie zu suchen. Sein Weg führt ihn in den Osten Deutschlands wo er auf Menschen trifft, die in Birgits früherem Leben eine bedeutende Rolle gespielt haben. Im Dorf einer völkischen Gemeinschaft trifft er auf Svenjas 15jährige Tochter Sigrun, die er sofort als seine Enkelin ansieht. An ihr will er das Vermächtnis seiner Frau vollenden, doch ihre beiden Welten sind grundverschieden …   

Der Autor Bernhard Schlink wurde 1944 in Bielefeld geboren, wuchs in Heidelberg auf, studierte in Heidelberg und Berlin Jura, promovierte 1975 in Heidelberg zum Dr. jur. und habilitierte in Freiburg/Brsg. zum Professor für Öffentliches Recht. Er lehrte an den Universitäten in Bonn, Frankfurt/Main und Berlin und war von 1987 bis 2006 Richter am Verfassungsgerichtshof. Seinen Erfolg als Schriftsteller hatte er ab 1987 - inzwischen veröffentlichte er einige Sachbücher und vierzehn Romane, für die er zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhielt.  Heute lebt Schlink in New York und Berlin. 

Hauptsächlich zwei Figuren dominieren in diesem Roman. Da ist der schon ältere Buchhändler Kaspar, der den Verlust seiner Frau damit bewältigt, dass er deren uneheliche Tochter Svenja in den Ferien bei sich aufnimmt und dem Mädchen, das bisher in einer völkischen Dorfgemeinschaft aufgewachsen ist, alles bietet, was Berlin zu bieten hat. Das geht jedoch nicht ohne Konflikte ab. Ein großes Lob gebührt dem Autor, der es großartig versteht, die einzelnen Charaktere mit all ihren Stärken und Schwächen zu beschreiben. Der Leser wird überschüttet mit einer Flut von Emotionen. Man schwankt zwischen Ärger und Mitgefühl und ist oft wütend über die Borniertheit und den Unverstand mancher Zeitgenossen. Der Schreibstil ist dabei von einer gekonnt sachlichen Nüchternheit, klar, präzise und schnörkellos, wie man ihn auch bisher von Schlinks Romanen kennt.

Fazit: Eine Geschichte die berührt, nachdenklich stimmt und zu Diskussionen anregt. Sehr lesenswert!