Rezension

Occupy vor 500 Jahren - Spannendes Porträt eines Volksaufstandes anhand einer Verschwörungsgeschichte vor Burgenlandschaft

Die Burg der Könige - Oliver Pötzsch

Die Burg der Könige
von Oliver Pötzsch

Bewertet mit 4.5 Sternen

Kann sich noch jemand an Occupy erinnern? Da gingen vor einiger Zeit Menschen auf die Straße, um dagegen zu protestieren, dass sich einige Wenige auf Kosten von Vielen bereichern (grob gesagt). We are the 99% war eine ihrer Parolen.
Jetzt fragt ihr euch vielleich: Was hat Occupy mit einem historischen Roman zu tun? Dafür denkt einmal zurück an den Geschichtsunterricht der 9. Klasse. Da gab es im Lehrbuch eine Grafik, die nannte sich ‘die Ständepyramide’. In Form einer Pyramide war dort die Gesellschaft dargestellt, unten die Armen, Bauern Leibeigene etc., nach oben verjüngt sich die Pyramide und es werden immer weniger Menschen, die immer mehr Macht und Geld ansammeln. Ein ungerechtes System, möchte man meinen, hat man auch in der Schule so gelernt. Zum Glück hat sich das geändert im Laufe der Jahrhunderte!

Aber: Hat es das wirklich? Wie kommt es dann zu Bewegungen wie Occupy? Auch vor 500 Jahren sind die Menschen auf die Straßen gegangen. Doch nicht mit Schildern und Zelten, sondern mit Sensen, Dreschflegeln und Fackeln. Man hat nicht friedlich in Parks und vor Banken und Regierungsgebäuden protestiert – man hat in Wäldern gehaust und Burgen und Klöster niedergebrannt. Angefacht auch von den Thesen des Martin Luther, der sich gegen den Papst und den Klerus wendet, erheben sich die Rechtlosen hungernden Bauern, denn sie sind die 99% dieser Zeit. Und in eben dieser Zeit spielt Oliver Pötzsch’ neuer Roman ‘Die Burg der Könige’.

Wer bei diesem Titel an eine mächtige Burg, den Sitz von Königen und Kaisern denkt, liegt nur im ersten Moment richtig. Denn die titelgebende Burg ist der Trifels im Pfälzischen. Ja, einst war sie eben diese mächtige Burg, das Zentrum des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Doch diese Zeiten sind vorbei, die Burg verkommt, zerfällt und wird nur noch notdürftig in Schuß gehalten, denn es wohnen hier noch einige wenige Personen, Adel auf dem absteigenden Ast.

Eine gespaltene Welt ist das: die Kirche spaltet sich, es gibt zwei mächtige Könige, die sich um die Herrschaft Europas, oder besser der Welt balgen und in den unteren Adelsschichten gibt es die Verlierer, denen die Burg unter dem Hintern verrottet und von denen viele irgendwann nur noch die Möglichkeit haben, sich als Raubritter durchzuschlagen. Und dann gibt es eben noch jene 99%, die die Äcker bestellen und die doch nichts zu essen haben, denen nochdazu der Adel auf lustigen Jagdausflügen ebenjene Äcker plattreitet, umdaraufhin, wegen fehlender Abgaben, drakonischen Strafen zu verhängen.

All das schildert uns Oliver Pötzsch äußerst bildreich und unterhaltsam anhand dieses (fast) Tausendseiters, es dient hier als Kulisse und gleichzeitig als Handlungsträger. Denn da ist zum einen die Vogtstochter Agnes, die mit ihrem Vater in der zerfallenden Burg Trifels lebt und zum anderen der junge Mathis, Sohn des Trifelser Schmiedes, der lieber mit dem neumodischen Schwarzpulver und den Arkebusen experimentiert, als Nägel und Hufe zu schmieden und der mit den Aufständischen sympathisiert.
Da sind des Weiteren Agenten der beiden verfeindeten europäischen Großmächte, die hoffen in der abgelegenen, einst so wichtigen Provinz, einem alten Geheimnis auf die Spur zu kommen, welches das Machtgefüge in Europa erheblich verändern könnte (für die Mächtigen sind die Erhebungen der Bauern und dieser Martin Luther mit seinen verrückten Ideen nur Problemchen, mit denen schon die regionalen Fürsten fertig werden).

Agnes interessiert sich sehr für die Geschichte der Burg und lebt eigentlich mehr in der Vergangeheit. Zumindest, bis ihr Falke ihr einen Ring zuträgt, der eine Kette von Ereignissen auslöst, die kein gutes Ende ahnen lassen.
Um nicht zuviel zu verraten, sei noch gesagt: der Ring und Agnes reisen widerwillig durchs Reich, gefolgt von Mathis und einem Begleiter, die Agnes aus den Klauen eines Hurenfängers retten wollen. Fast schon ein bisschen Herr-der-Ringe-mäßig, auch wenn hier die Gefährten schon von Anfang an getrennte Wege gehen. Doch auch bei Pötzsch soll es nicht an vielen Toten und verbrannter Erde fehlen, Burgen werden erobert, geschleift, manche auch gehalten.

Auf jeden Fall ist das Buch wirklich über die gesamten neunhundertundwas Seiten hochgradig unterhaltsam geschrieben. Wer bisher von Oliver Pötzsch nur die Henkerstochter-Romane kennt (ich hab da nur den letzten gelesen), der wird hier positiv überrascht sein, wie Pötzsch den doch ungleich schwierigeren Plot und diese Epoche der Umbrüche großartig darstellt. Auf dem Gebiet des vom Mittelalter dominierten Historischen Romanes sicher einer der guten Romane (was man von meinen vorherigen beiden Leseerlebnissen auf dem Gebiet nicht behaupten kann).