Rezension

Nam-joo Cho - Kim Jiyoung, geboren 1982

Kim Jiyoung, geboren 1982 -

Kim Jiyoung, geboren 1982
von Nam-joo Cho

Bewertet mit 5 Sternen

Nach der Geburt ihrer Tochter und, aus Mangel an Betreuungsmöglichkeit, der Aufgabe ihres Berufs ist Kim Jiyoung etwas verloren. Die postnatale Depression wirft sie schließlich ganz aus der Bahn. Ihre Psyche schlüpft in den Charakter von Menschen in ihrem Umfeld, ihre eigene Persönlichkeit verschwindet dahinter. Ein Psychologe ergründet die Ursache und blickt dabei auf das typische Leben koreanischer Frauen. Schon vor der Geburt beginnt der Wettlauf mit dem anderen Geschlecht. Sollten sie überhaupt die Geburt erleben, erwartet sie ein Leben in zweiter Reihe.

 

Nam-joo Chos Roman ist ein globales Phänomen, das einen sehr speziellen Beitrag zur Feminismusdebatte und einen Einblick in eine aus westlicher Welt sehr befremdliche Gesellschaft liefert. Zwar ist die Geschichte als Roman angelegt, zahlreiche Fakten untermauern jedoch die Schilderungen.

 

Man kann vor Entsetzen nur staunen über die Ungerechtigkeit, die mit Tradition begründet und immer weiter verfestigt wird. Bei den Kindern schon werden die Jungen bevorzugt: erhalten die besseren Zimmer, mehr Essen und Bildung, die ihnen die Schwestern finanzieren müssen, auch wenn diese intelligenter sind. In der Schule genießen sie mehr Freiheiten, die Mädchen erleben frühzeitig schon sexuelle Grenzüberschreitungen, die jedoch abgetan werden – sie gehören halt einfach dazu. Auch im Alltag erlebt Jiyoung zahlreiche Übergriffe, wobei man ihr dafür meist die Schuld zuschreibt, was muss sie auch abends noch draußen rumlaufen oder einen Rock tragen?

 

Auch der Start ins Berufsleben ist beschwerlich, die Universitäten unterstützen nur die männlichen Studierenden bei der Jobsuche und Frauen werden auf Einstiegspositionen nicht nur schlechter bezahlt, sondern wiederum schlechter behandelt und wie Freiwild behandelt. Peinliche Situationen wechseln sich mit Demütigungen ab, aber nur wenige stellen sich dagegen; der Kampf für mehr Gerechtigkeit ist hart und beschwerlich und endet in der Regel dann doch mit der Resignation der Frauen. Spätestens mit der Frage nach der Familiengründung - genauestens beäugt von den Familien, die für sich das natürliche recht der Einmischung beanspruchen - ist unweigerlich der Abschied angesagt. Infrastruktur und Verständnis für arbeitende Mütter sind nicht vorhanden.

 

Man fühlt sich nicht um Jahrzehnte, sondern um Jahrhunderte zurückversetzt. Gleichberechtigung ist eine Fehlanzeige und selbst junge Männer mit progressiver Haltung fallen doch immer wieder in klassische Muster zurück oder merken gar nicht, dass ihr vermeintliches Entgegenkommen unter der Oberfläche ebenso diskriminierend ist wie das Verhalten der vorherigen Generationen.

 

Ein bemerkenswertes Buch, das nicht so sehr durch sprachliche Finesse oder Figurenentwicklung, sondern durch die Darstellung der koreanischen Gesellschaft beeindruckt. Dass Frauen weniger berufliche Chancen haben, trotz besser Leistungen in Schule und Universität, ist dabei nicht so sehr verwunderlich, das verhält sich ja bei uns nicht grundlegend anders, es ist viel mehr die Grundhaltung, die in der nicht nur patriarchalen, sondern offen misogynen Gesellschaft als völlig normal angesehen wird.