Rezension

Multiperspektivisches Regionaldrama

Unter Wasser Nacht -

Unter Wasser Nacht
von Kristina Hauff

Zwei schon seit vielen Jahren befreundete junge Familien teilen sich im niedersächsischen Wendland ein Grundstück, auf dem ihre beiden Häuser stehen und eine gemeinsame Scheune: Sophie und Thies, Inga und Bodo. Sie ziehen ihre Kinder Aaron, Lasse und Jella groß und kämpfen gemeinsam gegen Atomkraft und den Standort Gorleben. Dann stirbt der zehnjährige Aaron, das einzige Kind von Sophie und Thies, in der nahegelegenen Elbe. Für die eine Familie geht alles weiter wie bisher, das Leben der anderen ist zerstört. Das vermeintlich perfekte Leben von Bodo, Inga und ihren Kindern wird für Sophie und Thies zum unerträglichen Schaubild ihres eigenen zerstörten Glücks. Die friedliche Koexistenz der beiden Familien steht auf dem Spiel - und dann taucht auch noch die geheimnisvolle Fremde Mara im Dorf auf. 

Die Handlung des Romans spielt 13 Monate nach dem tragischen Tod Aarons in der Elbe. Die einstmals befreundeten Ehepaare sind sich untereinander fremd geworden und auch intern kriselt es, zumindest zwischen Sophie und Thies. Die beiden kommen mit dem schweren Verlust nicht zurecht und versuchen ihn auf unterschiedliche Weise zu kompensieren. Nach und nach kommt ans Licht, dass Aaron ein sehr aggressives, schwieriges Kind war und Sophie und Thies mit ihrem Latein was den Umgang mit ihm betrifft, am Ende waren, als Aaron den Unfall hatte. Hauff beschreibt die Hilflosigkeit von Eltern, deren Kind nicht nur nicht den Idealvorstellungen entspricht, sondern auch noch vehement subversiv und aggressiv agiert und sich entgegen den gesellschaftlichen Normen und Gepflogenheiten verhält. Die Verzweiflung war sehr nachvollziehbar und eindringlich beschrieben, allerdings hat mich die Auflösung und Aufarbeitung des Themas dann etwas enttäuscht zurückgelassen. Die Geschichte um Mara drängt sich nämlich zum Ende hin in den Vordergrund, obwohl das Verschwinden Aarons meines Erachtens im Mittelpunkt stehen sollte. 

Das Geschehen wird aus der Sicht von sechs verschiedenen Personen geschildert. Will man konsequent multiperspektivisch erzählen, muss man die einzelnen Point-of-View-Stimmen sehr akzentuieren, damit der Leser gut differenzieren kann. Hier ist dies meines Erachtens sehr gut umgesetzt worden und es hat dem Roman letztlich auch 4 Sterne eingebracht. Kristina Hauff versteht es ausgezeichnet, die angespannte Dynamik zwischen den Figuren spürbar werden zu lassen. Der Leser ist ständig auf der Hut und gespannt zu erfahren, welcher brodelnde Vulkan als nächstes eruptiert. Es ist spannend wie ein Krimi in die Gedankenwelt der einzelnen Personen abzutauchen und ihre Vorurteile und Verdächtigungen ungefiltert vermittelt zu bekommen.

Ein Plus ist dann auch noch die besonders atmosphärische Schreibweise, die das mir bislang sowohl in Natura als auch in der Fiktion unbekannte Wendland lebendig werden ließ. Auf fast jeder Seite wird ein Stück Flora und Fauna dieses idyllischen Landstrichs beschrieben. 

 

Meine Hauptkritik betrifft die Unstimmigkeiten und Fehler im Text. Am Anfang heißt es auf Seite 53 über den Abend, an dem Aaron verschwand, es wäre "viel zu warm für Mitte April" gewesen, weswegen Sophie und Thies das erste Mal im Jahr im Freien zu Abend gegessen haben. Später wird dann gesagt es wäre der 3. April gewesen, was ja eher Anfang April ist (siehe S. 155). Auf S. 202 heißt es dann über den Tag des Verschwindens: "Der Wind blies zu kalt für Anfang April." Also da war es dann Anfang April und kalt und nicht wie Sophie vorne sagt Mitte April und warm. Auch verschwand Ulrich wohl eher zu seinen Hausbesetzerfreunden als zu seinen "Hausbesitzerfreunden" (S. 228). Fehlerhafter bzw. holpriger Satzbau ist mir hier aufgefallen: "[...]für die Erziehung zuständig war, die Strenge sein musste", S. 230. An diesen Stellen hat meines Erachtens das Lektorat nicht richtig funktioniert. Ich habe aber das Gefühl dass mir noch einige andere Ausrutscher entgangen sind. Es hat mich außerdem gestört dass nie gesagt wird, wie alt genau Sophie ist, obwohl es eigentlich relevant ist. Es wird nur gesagt sie sei ein paar Jahre jünger als Mara (49), aber sie könnte im Gegensatz zu ihr noch Kinder bekommen. Man könnte ja auch einfach schreiben, wie alt sie denn tatsächlich ist. 

Ansonsten ist "Unter Wasser Nacht" ein gut konstruierter, spannender Roman über eine trügerische Idylle und die unsichtbaren Päckchen, die wir alle auf dem Rücken tragen, den ich mir auch gut als TV-Drama vorstellen könnte.